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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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gingen hinaus und ließen den Krach und das Getöse und das Blut herein. Vielleicht haben Sie gehört, wie die Autos aufeinanderprallten. Dann die Schritte und dann das laute Klopfen und die schreienden Stimmen. Vielleicht geriet der Unfall außer Kontrolle, wenn es denn ein Unfall war. Vielleicht brauchten sie ja auch nur einen ordentlichen, mitternächtlichen Zeugen, einen, der alles sah, aber nicht redete. Sie ließen die Wahrheit herein und haben sie seither für sich behalten.«
    Ich sprang auf und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Kaum stand ich auf den Füßen, da sank der Pfarrer wie plötzlich seiner Knochen beraubt in seinen Stuhl zurück, als wären wir über Flaschenzüge und Gewichte miteinander verbunden.
    »Sie waren Augenzeuge, nicht wahr, Herr Pfarrer? Es geschah nur wenige Meter von hier entfernt, in jener Halloween-Nacht im Jahre 1934. Wurden die Opfer anschließend nicht hierher gebracht?«
    »Gott vergib mir«, murmelte der Priester. »Ja.«
    Eben noch vom Feuer der Leidenschaft erfüllt, verließ Pfarrer Kelly nun sein aufrührerischer Geist, und der Gottesmann sank Schicht um Schicht tiefer in sich hinein.
    »Waren bereits alle tot, als die Menge sie hereintrug?«
    »Nicht alle«, sagte der Priester, vom Schock der Erinnerung geschüttelt.
    »Danke, Herr Pfarrer.«
    »Wofür?« Er hatte die Augen vor den schmerzlichen Erinnerungen verschlossen und riß sie nun in neuerlicher Qual weit auf. »Wissen Sie, auf was Sie sich da eingelassen haben?!«
    »Ich habe Angst, danach zu fragen.«
    »Dann gehen Sie schleunigst nach Hause, waschen Sie sich das Gesicht und – ein sündiger Ratschlag – lassen Sie sich vollaufen!«
    »Dafür ist es zu spät. Pfarrer Kelly, haben Sie einem der Opfer, oder gar allen, die Letzte Ölung gegeben?«
    Pfarrer Kellys Kopf zuckte hin und her, als wolle er mit der Wackelei die bösen Geister vertreiben.
    »Und wenn es so wäre?«
    »Der Mann namens Sloane?«
    »War bereits tot. Ich habe ihn statt dessen gesegnet.«
    »Und der andere Mann …?«
    »Der große, der berühmte, der allmächtige …?«
    »Arbuthnot«, vollendete ich den Satz.
    »Ihn habe ich gesalbt und ihm die Sakramente gespendet. Dann ist er gestorben.«
    »Kalt und tot, für immer von uns gegangen, richtig mausetot?«
    »Jesus, wie Sie das sagen!« Er schnappte nach Luft, und dann stieß er es aus: »All das – jawohl!«
    »Und die Frau?« faßte ich nach.
    »Die war am schlimmsten dran!« rief er. Die alte Blässe in seinen Wangen wurde von einer neuen, noch bleicheren Blässe ersetzt. »Durchgedreht. Von Sinnen, noch schlimmer als durchgedreht. Völlig losgelöst von Geist und Körper, unmöglich, sie wieder zurückzuholen. Zwischen den beiden eingeklemmt. Mein Gott, das alles erinnerte mich an Theaterstücke, die ich in meiner Jugend gesehen hatte. Schnee fällt vom Himmel. Ophelia plötzlich in eine fürchterliche Stille gekleidet, als sie langsam ins Wasser schreitet, wo sie eigentlich nicht ertrinkt, sondern vielmehr sich im endgültigen Wahnsinn auflöst, eine Stille, die so kalt ist, daß man sie nicht mit dem Messer schneiden könnte, nicht mit einem Ruf durchdringen. Nicht einmal der Tod könnte den Winter dieser Frau erschüttern. Haben Sie mich gehört? Das sagte einmal ein Psychiater! Der ewige Winter. Ein Land versunken im Schnee, aus dem nur selten ein Reisender je wieder zurückkehrt. Die Sloane, wie sie dort draußen im Pfarrhaus zwischen den Leichen gefangen liegt, und sie weiß nicht, wie sie entfliehen kann. Also dreht sie sich einfach um und ertränkt sich. Die Leichen wurden von den Studioleuten weggeschafft, sie waren nur für eine kurze Rast hierher gebracht worden.«
    Er redete gegen die Wand. Jetzt wandte er sich um und sah mich alarmiert an, von aufsteigendem Haß aufgewühlt. »Die ganze Geschichte dauerte wie lange? Eine Stunde? Und doch hat sie mich all die Jahre verfolgt.«
    »Emily Sloane … verrückt?«
    »Eine Frau führte sie weg von hier. Eine Schauspielerin. Ich habe den Namen vergessen. Emily Sloane wußte nicht, daß man sie wegbrachte. Sie starb in der Woche darauf, oder eine Woche später, soviel ich gehört habe.«
    »Nein«, sagte ich. »Es gab drei Tage später eine dreifache Beerdigung. Arbuthnot für sich. Die Sloanes zusammen, das erzählt man sich jedenfalls.«
    Der Priester korrigierte seine Geschichte. »Das spielt doch keine Rolle mehr. Jedenfalls ist sie tot.«
    »Es spielt sehr wohl eine Rolle.« Ich beugte mich zu ihm hinüber. »Wo ist sie

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