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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Straße auf. Doch ich absolvierte das Priesterseminar durchaus mit Stil, hatte ich doch vorher an jeder Menge christlicher Dokumentarfilme mitgearbeitet. Und was treiben Sie so?«
    Ich saß lachend vor ihm.
    »Was ist daran so komisch?« fragte Pfarrer Kelly.
    »Ich habe ganz den Eindruck, daß sich die Hälfte der Autoren vom Studio – wenn sie wüßten, daß Sie auch jahrelang geschrieben haben – hier herüberschliche, aber nicht um zu beichten, sondern vielmehr, um sich Antworten abzuholen! Wie würden Sie diese Szene beschreiben, wie könnte man jene zu Ende bringen, wie könnte man ein bißchen kürzen, wie …«
    »Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen!« Der Pfarrer kippte den Whisky hinunter und füllte sich vergnügt ein zweites Glas ein; dann plauderten wir wie zwei alte Filmhasen aus der hohen Schule der Drehbuchschreiberei. Ich setzte ihm meinen Messias auseinander, er erzählte mir von seinem Christus.
    Schließlich sagte er: »Hört sich ganz so an, als hätten Sie das Drehbuch recht ordentlich zusammengeflickt. Letztendlich haben die alten Knaben vor zweitausend Jahren auch nicht mehr als solide Flickschusterei betrieben. Sehen Sie sich nur die Unterschiede zwischen Matthäus und Johannes an.«
    Ich rutschte ungeduldig auf meinem Stuhl herum, traute mich aber nicht, kochendes Öl auf einen Gottesmann zu gießen, der gerade kühles, heiliges Quellwasser spendete.
    Ich erhob mich. »Tja, vielen Dank, Herr Pfarrer.«
    Er schaute meine ausgestreckte Hand an. »Sie haben eine Pistole mitgebracht«, sagte er wie nebenbei, »aber Sie haben sie noch nicht abgefeuert. Drücken Sie Ihren Hintern wieder auf den Stuhl und schießen Sie los.«
    »Reden alle Priester so?«
    »In Irland schon. Legen Sie los. Sie haben laut gegackert, aber Sie haben noch kein Ei gelegt.«
    »Ich glaube, jetzt nehme ich doch einen Schluck davon.« Ich nahm das Glas und nippte an seinem Inhalt. »Also … Stellen Sie sich vor, ich sei Katholik …«
    »Ich stelle es mir vor.«
    »Einer, der unbedingt die Beichte ablegen muß …«
    »So geht es allen.«
    »Ich komme also nach Mitternacht hierher …«
    »Eine sehr ungewöhnliche Stunde.« Doch ich sah, wie in jeder seiner Pupillen eine Kerze aufflammte.
    »Ich klopfe an die Tür …«
    »Würden Sie so etwas wirklich tun?« Er beugte sich leicht nach vorne. »Fahren Sie fort.«
    »Würden Sie mich einlassen?« fragte ich.
    Genausogut hätte ich ihn in seinen Stuhl zurückschubsen können.
    »Waren die Kirchen dereinst nicht rund um die Uhr geöffnet?« hakte ich nach.
    »Das ist schon lange her«, antwortete er viel zu hastig.
    »Dann würden Sie mich also nicht einlassen, Herr Pfarrer, wenn ich des Nachts mit einem dringenden Anliegen bei Ihnen anklopfte?«
    »Warum sollte ich das nicht tun?« Der Kerzenschein in seinen Augen flackerte auf, als hätte ich den Docht aufgerichtet.
    »Selbst für den schlimmsten Sünder, der je auf Gottes Erdboden gewandelt ist, Herr Pfarrer?«
    »Es gibt sie nicht, so eine Kreatur.« Zu spät: seine Zunge klebte an dem letzten, fürchterlichen Wort fest. Seine Augen tanzten wild umher, die Lider zuckten. Er revidierte seine Aussage, gab ihr einen anderen Dreh.
    »Es gibt keine solche Person.«
    Ich ließ nicht locker: »Aber was wäre, wenn Judas selbst an der Tür stünde …«, ich machte eine kleine Pause, »… spät in der Nacht?«
    »Judas Ischariot? Wegen ihm würde ich aufstehen, ganz bestimmt.«
    »Und was, Herr Pfarrer, wenn dieser verlorene, furchtbare Mann nicht nur einmal pro Woche anklopfte, sondern fast jede Nacht, das ganze Jahr über? Würden Sie aufstehen, oder würden Sie sein Klopfen überhören?«
    Das gab ihm den Rest. Pfarrer Kelly sprang auf, als hätte ich den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Farbe verschwand von seinen Wangen und aus seinen Haarwurzeln.
    »Sie haben bestimmt woanders dringende Geschäfte zu erledigen. Ich möchte Sie nicht länger aufhalten.«
    »Aber nein, Herr Pfarrer.« Ich bemühte mich, mutig zu sein. »Sie möchten gerne, daß ich weggehe. Auf die Woche genau vor zwanzig Jahren …«, ich stolperte einfach weiter, »… klopfte jemand an die Tür, mitten in der Nacht …«
    »Nein, hören Sie auf damit! Gehen Sie!«
    Es war der schreckerfüllte Schrei von Starbuck, der Ahabs Blasphemie ungeschehen machen wollte, der letzte Angriff auf den riesenhaften weißen Fleischberg: »Raus!«
    »Raus? Sie gingen damals hinaus, Herr Pfarrer.« Mein Herz raste und warf mich beinahe im Sessel hin und her. »Sie

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