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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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»Bloß keine Paranoia.«
    »Hört euch den an!« Grocs Gesicht war kreidebleich. »Der große Studiowachdienstpsychiater! Sie, Sie steigen besser ein. Es wird Ihre letzte Fahrt!«
    Ich zögerte einen Moment und blickte hinunter in das Gesicht, in dem sich die verschiedensten Gefühle spiegelten. All das, was normalerweise Grocs herrische und mutige Fassade ausmachte, war am Zusammenbrechen. Er wirkte wie ein Testbild auf einem Fernsehschirm, das bald verschwommen, dann wieder einigermaßen stabil kommt, um sich dann vollends aufzulösen. Ich stieg ein und schlug die Tür zu, woraufhin der Wagen sich röhrend auf seinen wahnwitzigen Parcours machte.
    »Hey, wohin so eilig?«
    Wir rasten an den Aufnahmeateliers vorbei. Überall standen die Türen zum Lüften sperrangelweit offen. Bei mindestens sechs von ihnen wurden die Außenwände gestrichen. Alte Bauten und Bühnenbilder wurden eingerissen und ins Tageslicht herausgeschleppt.
    »An jedem anderen Tag, mein Guter, hätte ich das hier genossen!« überschrie Groc den heulenden Automotor. »Chaos ist mein Lebenselixier. Die Börse bricht zusammen? Fährboote kentern? Hervorragend! Ich ging im Jahre 1946 nach Dresden zurück, nur um mir die zerstörten Gebäude und die vom Bombenterror gezeichneten Menschen anzusehen.«
    »Stimmt das?!«
    »Hätten Sie es nicht selbst gerne gesehen? Oder das brennende London, 1940. Immer wenn sich die Menschheit abscheulich benimmt, geht mir das Herz auf!«
    »Machen Sie schöne Dinge denn nicht glücklich? Künstlerisch begabte Menschen, kreative Männer und Frauen?«
    »Nein, nein.« Groc raste weiter. »Das deprimiert mich. Ein Lallen zwischen all den anderen Blödheiten. Die paar naiven Narren, die die Landschaft mit ihren geschnittenen Rosen und Stilleben aufmotzen, machen nur noch deutlicher, welches Geschmeiß an Höhlenbewohnern, Zwergwürmern und kriechenden Vipern die unterirdische Maschinerie in Bewegung hält und die Welt auf den Hund bringt. Ich habe mich vor Jahren entschieden: wenn die Kontinente nur riesige Klumpen aus Matsch und Unrat sind, so will ich die passenden Stiefel tragen, um wie ein kleines Kind darin herumzuplanschen. Aber das hier, das ist doch lächerlich: gefangen in einer blöden Fabrik. Ich will darüber lachen, nicht davon vernichtet werden. Halten Sie sich fest!« Wir schleuderten am Kalvarienberg vorbei.
    Ich hätte beinahe aufgeschrien.
    Denn Golgatha war verschwunden.
    Ein Stück weiter hinten stieß der Verbrennungsofen große Schwaden schwarzen Rauchs aus.
    »Das müssen die drei Kreuze sein«, sagte ich.
    »Gut so!« grunzte Groc. »Ich frage mich nur: wird J. C. heute in der Bahnhofsmission übernachten?«
    Ich fuhr herum und schaute ihn an.
    »Kennen Sie J. C. näher?«
    »Den Muskatellmessias? Ich habe ihn geschaffen! Wenn ich anderen Augenbrauen und Busen herrichte, warum Jesus nicht die Hände! Also schälte ich ihm das überflüssige Fleisch weg, damit seine Finger zart und schlank wirkten: richtige Erlöserhände. Warum auch nicht? Ist die Religion nicht ein großer Witz? Die Menschen denken, sie seien erlöst. Wir wissen, daß das nicht stimmt. Aber dann: der Abdruck der Dornenkrone, die Wundmale!« Groc schloß genüßlich die Augen, wäre beinahe an einen Telefonmast geprallt, schleuderte herum und hielt an.
    »Ich dachte mir schon, daß Sie das getan haben«, sagte ich endlich.
    »Wenn man Christus spielt, dann muß man auch Christus sein! Ich mache dir Dornenabdrücke, sagte ich zu J. C, die kannst du bei Renaissance-Ausstellungen vorzeigen! Ich nähe dir die Wundmale von Masaccio, da Vinci, Michelangelo! Wie auf dem marmornen Fleisch der Pietá! Und, wie Sie gesehen haben, zu besonderen Anlässen …«
    »… fangen die Wundmale zu bluten an.«
    Ich riß die Wagentür weit auf. »Ich glaube, den Rest gehe ich besser zu Fuß.«
    »Aber nein«, entschuldigte sich Groc und lachte dabei schrill auf. »Ich brauche Sie. Welche Ironie! Damit ich später beim Tor hinausgelassen werde. Gehen Sie, unterhalten Sie sich mit Botwin, dann machen wir, daß wir davonkommen.«
    Ich war unentschlossen und ließ die Tür noch halb offen. Groc befand sich in einer freudig erregten Panik, beinahe bis zur Hysterie überdreht; schließlich zog ich die Tür wieder zu, und er fuhr los.
    »Fragen Sie, immer fragen«, meinte er.
    »Na schön.« Ich setzte erneut an: »Was ist mit all den Gesichtern, die Sie so schön hergerichtet haben?«
    Groc ließ den Motor röhren.
    »Die halten bis in alle Ewigkeit, habe

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