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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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stecken.«
    »Was sollen wir denn sonst tun?« rief ich. »Nur herumsitzen und warten, bis sie die Tür einschlagen oder aus dem Meer aufsteigen? Ich halte diese Warterei nicht aus. Dann schon lieber tot.«
    »Gib schon her!«
    Crumley schnappte sich das Telefon und wählte.
    Als am anderen Ende abgenommen wurde, sagte er mit unterdrückter Wut: »Mir geht’s gut. Streichen Sie meine Krankmeldung. Ich bin heute abend wieder fit!«
    »Gerade jetzt, wo ich dich brauche«, sagte ich. »Feigling.«
    »Feigling? So ein Blödsinn!« Er knallte den Hörer auf. »Ein Pferdeknecht!«
    »Pferde was?«
    »Zu mehr bin ich diese Woche nicht nütze gewesen. Immer nur auf dich warten, um anschließend einen Schornstein hinaufgeschoben oder eine Treppe hinuntergestoßen zu werden. Genau wie der Kerl, der die Zügel hielt, als General Grant vom Pferd fiel. Totenmessen nachspüren und in alten Zeitungsordnern herumwühlen ist wie eine Meerjungfrau flachlegen. Es wird Zeit, daß ich meinem Gerichtsmediziner wieder zur Hand gehe.«
    »Wußtest du, daß der Ausdruck ›Coroner‹ nichts anderes bedeutet, als ›für die Krone‹? Ein Typ, der etwas für den König oder die Königin getan hat? Corona. Coronet. Coroner.«
    »Herrje! Soll ich die Auskunft anrufen? Gib mir das Telefon!«
    Da klingelte der Apparat. Wir sprangen beide auf.
    »Geh nicht ran«, sagte Crumley.
    Ich ließ es achtmal klingeln, und dann zehnmal. Ich hielt es nicht länger aus. Ich nahm den Hörer ab.
    Zuerst war nicht mehr zu vernehmen als ein fernes Rauschen, aus einem weiter entfernten Teil der Stadt, wo unsichtbare Regenschauer auf unversöhnliche Grabsteine fielen. Aber dann …
    Ich hörte, wie jemand schwer atmete. Es hörte sich an wie ein großer, unheimlicher Hefeteig, der, kilometerweit entfernt, vor sich hin gärte.
    »Hallo!« sagte ich.
    Schweigen.
    Dann endlich diese dumpfe, teigige Stimme, eine Stimme, die in alptraumhaftem Fleisch zu Hause war. Sie sagte: »Warum sind sie nicht hier?«
    »Niemand hat mich dazu aufgefordert«, antwortete ich mit zittriger Stimme.
    Wieder dieses schwere Atmen, wie unter Wasser, als würde jemand in seinem eigenen, schrecklichen Fleisch ertrinken.
    »Heute abend«, sagte die ersterbende Stimme. »Um sieben Uhr. Sie wissen wo?«
    Ich nickte. Wie dumm! Ich nickte !
    »Also …«, hörte man noch die tiefe, schleppende Stimme. »Es war eine lange Zeit, ein weiter Weg … so weit … so …« Die Stimme klang klagend. »Bevor ich meinen endgültigen Abschied nehme, müssen wir, ja, wir müssen … miteinander reden …«
    Die Stimme schnappte nach Luft, und dann war sie weg.
    Ich blieb mit starrem Blick sitzen, den Hörer fest umklammert.
    »Was zum Henker war das?« sagte Crumley, der hinter mir stand.
    Ich spürte, wie sich mein Mund bewegte: »Ich habe ihn nicht angerufen. Er hat mich angerufen!«
    »Gib schon her!«
    Crumley wählte.
    »Wegen meiner Krankmeldung …«, sagte er.
     

70
     
    Das Filmstudio wurde ein für allemal dichtgemacht, radikal demontiert, Feierabend.
    Zum ersten Mal seit fünfunddreißig Jahren stand nur ein einziger Wachmann am Tor. In keinem der Gebäude brannte Licht. Lediglich an den Kreuzungen der Studiostraße, die zu Notre Dame führte, leuchteten ein paar einsame Laternen. Das heißt, falls Notre Dame noch vorhanden war. Es war die Straße, die am spurlos verschwundenen Kalvarienberg vorbeiführte und weiter Richtung Friedhofsmauer.
    Lieber Gott, dachte ich, meine beiden Städte. Doch jetzt waren beide dunkel und kalt, ohne Unterschied. Seite an Seite, die Zwillingsstädte, eine unter der Regentschaft von Gras und kaltem Marmor, die andere, hier, von einem Mann geführt, der so düster, so unbarmherzig, so menschenverachtend wie der Tod selbst war. Er, der die Herrschaft über Bürgermeister und Polizeichefs, Wachleute und ihre Wachhunde ausübte – und über die Telefonverbindungen zu den Finanzen an der Ostküste.
    Ich mußte das einzig lebende Wesen sein, das, voller Angst, von einer Totenstadt in die andere hinüberwechselte.
    Ich berührte das Tor.
    »Um Gottes willen«, sagte Crumley hinter mir, »tu’s nicht!«
    »Ich muß«, erwiderte ich. »Das Monster weiß jetzt, wo sich jeder einzelne aufhält. Es könnte jederzeit dein Haus zerstören, oder das von Constance, von Henry. Nein, ich glaube nicht, daß es das tun wird. Endlich ist ihm jemand auf die Schliche gekommen. Aber wir haben keine Möglichkeit, ihm Einhalt zu gebieten, stimmt’s? Keine Beweise. Keine rechtlichen

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