Friedhof für Verrückte
an langen Regalwänden hingen, und wo der Thron Julius Cäsars auf sein lange vermißtes Hinterteil wartete.
Ich schaute mich um.
Nichts vergeht wirklich, dachte ich. Alles kehrt wieder zurück. Das heißt, wenn man wirklich will.
Und wo hält sich alles so lange versteckt, wo warten die Dinge auf ihre Wiedergeburt? Hier, dachte ich. Ja, ganz bestimmt hier.
In den Köpfen jener Männer, die mit ihrem mitgebrachten Proviant wie Arbeiter aussehen und die, wenn sie abends heimwärts ziehen, eher wie Familienväter wirken als wie Liebhaber.
Wenn du mit dem Schaufelraddampfer den Mississippi hinunterfahren und New Orleans besichtigen willst, zimmere dir die Mississippi Belle zusammen. Stelle dir Berninis Säulen auf die grüne Wiese. Oder lasse eine Kopie des Empire State Buildings aufbauen und schraube dir einen mechanischen Affen zusammen, der groß genug ist, um daran hochzuklettern.
Deine Träume sind ihre Blaupausen, sie sind die Söhne der Söhne des Michelangelo und des da Vinci, und die Söhne von gestern sind die Väter von morgen.
Da beugte sich mein Freund Roy in eine schwach erleuchtete Höhle hinter einem Western Saloon und zog mich mit, zwischen die gut verstauten Fassaden von Bagdad und Buxtehude.
Stille. Alle waren beim Mittagessen.
Roy hielt die Nase in den Wind und lachte leise.
»O Gott, ja! Riech doch mal! Sägemehl! Wegen diesem Geruch habe ich mit dir auf der High School den Schreinerkurs besucht. Und wegen den Kreissägen. Es hörte sich immer so an, als würden die Leute tatsächlich etwas herstellen. Es juckte mich immer gleich in den Fingern. Kuck mal da!« Roy blieb vor einer länglichen Glasvitrine stehen und betrachtete sich das darin aufbewahrte Schmuckstück.
Es war die Bounty, ein Miniaturmodell, dreißig Zentimeter lang und voll aufgetakelt, so wie sie vor zwei Jahrhunderten imaginäre Ozeane durchsegelt hatte.
»Komm nur«, sagte Roy leise. »Aber berühr sie nur ganz vorsichtig.«
Ich berührte fasziniert die Oberfläche und vergaß darüber ganz, warum wir eigentlich hier waren; ich hätte ewig dort stehenbleiben können. Doch Roy zerrte mich schließlich weiter.
»Meine Fresse«, flüsterte er, »die volle Auswahl.«
Fünfzehn Meter vor uns, in der schwülen Dunkelheit, türmte sich eine Unmenge von Särgen.
»Warum sind das so viele?« fragte ich, als wir näher kamen.
»Um all die Totgeburten zu begraben, die das Studio bis zum Erntedankfest noch produziert.«
Wir waren an den Särgen vom Fließband angekommen.
»Steht alles zu deiner Verfügung«, sagte Roy. »Such dir einen aus.«
»Weit oben kann er nicht sein. Das ist zu hoch. Die Menschen sind faul. Dann also – dieser hier.«
Ich tippte mit der Schuhspitze gegen den nächstbesten Sarg.
»Los, weiter«, drängte Roy, der sich über mein Zaudern amüsierte. »Mach ihn auf!«
»Nein, du.«
Er bückte sich und versuchte den Deckel abzuheben.
Verdammt, der Sarg war zugenagelt.
Irgendwo hörte man eine Hupe. Wir spähten nach draußen.
Ein Wagen kam die Hauptstraße von Tombstone herauf.
»Schnell!« Roy rannte zum Tisch hinüber, suchte wie wild darauf herum und fand einen Hammer und ein Stemmeisen, um die Nägel herauszuziehen.
»Gott im Himmel«, stöhnte ich.
Manny Leibers Rolls-Royce wirbelte den Staub auf im gleißenden Sonnenlicht vor den Pferdeställen.
»Laß uns abhauen!«
»Nicht bevor wir herausgefunden haben – na also!«
Der letzte Nagel flog zur Seite.
Roy packte den Deckel, atmete tief durch und öffnete den Sarg.
Draußen im Hof, in der heißen Sonne, ertönten Stimmen.
»Mensch, mach die Augen auf«, rief Roy. »Schau hin!«
Ich hatte die Augen geschlossen, weil ich den Regen nicht wieder auf meinem Gesicht spüren wollte. Ich öffnete sie.
»Und?« sagte Roy.
Da lag der Leichnam, mit dem Gesicht zu uns, die Augen weit aufgerissen, die Nasenflügel gebläht, der Mund sperrangelweit offen. Immerhin fiel kein Regen, der ihm über Kinn und Wange hätte strömen können.
»Arbuthnot«, sagte ich.
»Tatsächlich«, staunte Roy. »Jetzt erinnere ich mich wieder an die Fotos. Mann, die Ähnlichkeit ist wirklich groß. Aber aus welchem Grund sollte jemand das hier – was immer es auch ist – auf eine Leiter stellen, warum nur?«
Ich hörte eine Tür zuknallen. Hundert Meter von uns entfernt war Manny Leiber aus seinem Rolls in den warmen Staub gestiegen; jetzt blinzelte er in die Dunkelheit über uns, um uns, in unsere Richtung.
Ich zuckte zurück.
»Einen Moment noch …«,
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