Friedhof für Verrückte
herumklettern?«
»Aus den Gründen, die du gerade erwähnt hast. Um deine Langeweile loszuwerden. Um anderen Bomben unter den Arsch zu legen.«
»Ach was. Schön wär’s. Aber jetzt kann ich nicht länger auf das Mittagessen warten. Wenn Manny auftaucht, wird er ganz schön geschafft aussehen.«
»Meinst du, irgend jemand hat uns gesehen?«
»Bestimmt nicht. Deshalb habe ich auch gewinkt! Um ihm zu zeigen wie blöd und unschuldig wir sind! Da ist irgend etwas im Gange. Wir müssen uns vollkommen natürlich verhalten.«
»Wann haben wir zwei uns natürlich verhalten, Roy?«
Er lachte.
Wir knatterten hinter den Werkstattschuppen entlang, durch Madrid, Rom und Kalkutta, und parkten schließlich vor einer Sandsteinfassade irgendwo in der Bronx.
Roy schaute auf seine Armbanduhr.
»Du hast eine Verabredung. Fritz Wong. Geh schon. Wir beide sollten uns in der nächsten Stunde überall sehen lassen, nur nicht dort .« Er nickte in die Richtung von Tombstone, zweihundert Meter hinter uns.
»Wann fängst du an, dich zu fürchten?« fragte ich, als er mich vor der Kantine absetzte.
»Später. Ich habe noch was zu erledigen.«
»Roy, du machst doch keinen Blödsinn, oder? Du siehst schon wieder so weggetreten aus.«
»Ich habe nachgedacht. Wann ist Arbuthnot gestorben?«
»Auf die Woche genau vor zwanzig Jahren. Ein Verkehrsunfall mit zwei Autos. Drei Tote. Arbuthnot und Sloane, der Finanzmanager seines Studios, plus Sloanes Frau. Tagelang stand nichts anderes in den Schlagzeilen sämtlicher Zeitungen. Die Beerdigung war größer als die von Valentino. Ich stand mit meinen Freunden draußen vor dem Friedhof. Blumen wie bei der Rosenparade an Neujahr. An die tausend Leute nahmen an der Totenmesse teil, und hinter den dunklen Brillengläsern liefen die Tränen. Ach Gott, es war furchtbar. Arbuthnot ist so beliebt gewesen.«
»Ein Autounfall, sagst du?«
»Keine Zeugen. Vielleicht hat der Hintermann nicht genug Abstand gehalten, hatte zuviel getrunken bei einer der Partys im Studio.«
»Kann sein.« Roy zupfte an seiner Unterlippe und blinzelte mir mit einem Auge zu. »Und, wenn mehr dahinter ist? Vielleicht hat jemand nach all den Jahren irgend etwas herausgekriegt, und jetzt droht er damit auszupacken. Warum sonst die Leiche auf der Mauer? Warum diese Panik? Warum wirbelt man so viel Staub auf, wenn es nichts zu verstecken gibt? Hast du ihre Stimmen vorhin gehört? Wie kann ein Toter, der nicht tot ist, eine Leiche, die keine Leiche ist, die Bosse so aufscheuchen?«
»Es müssen mehr Briefe existiert haben«, sagte ich.
»Der, den ich erhalten habe, und andere. Doch ich war der einzige, der dumm genug war, hinzugehen. Und als ich heute nichts verlauten ließ, nichts herumposaunt habe, mußte derjenige, der die Leiche auf die Mauer geschafft hat, schreiben oder anrufen, um die Panik auszulösen und einen Leichenwagen loszuschicken. Und der Bursche, der die Leiche gebastelt und die Nachricht verschickt hat, befindet sich in diesem Moment hier irgendwo und schaut sich den Spaß an. Warum … warum nur … warum …?«
»Reg dich ab«, sagte Roy lässig, »immer mit der Ruhe.« Er ließ den Motor an. »Wir werden diese verquaste Geschichte beim Mittagessen aufklären. Setz deine unschuldige Miene auf. Mach einen auf naiv, während du deine Louis-B.-Mayer-Bohnensuppe löffelst. Ich muß noch mal nach meinen Miniaturmodellen sehen. Eine einzige kleine Straße muß noch angenagelt werden.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »In zwei Stunden ist mein Dinosaurierland fertig für die ersten Aufnahmen. Dann fehlt uns nur noch unser wunderbares, phantastisches Monster.«
Ich schaute in Roys Gesicht, das noch immer brennendrot glühte.
»Du wirst doch nicht etwa die Leiche klauen und zurück auf die Mauer bringen, Roy?«
»Nichts läge mir ferner«, sagte Roy und fuhr davon.
11
In der Kantine, ungefähr in der Mitte der äußersten Reihe links, stand eine kleine Plattform, nicht höher als dreißig Zentimeter, auf der nur ein Tisch mit zwei Stühlen thronte. Ich stellte mir oft vor, daß dort ein Sklaventreiber einer römischen Kriegsgaleere saß und krachend erst den einen, dann den anderen Holzhammer niedersausen ließ, um den schwitzenden, an ihre Ruder geketteten Sklaven den Takt vorzugeben. Die Rudersklaven gehorchten dem Gesetz der Panik, ruderten auf einen Gang zwischen unendlich weit entfernten Kinositzreihen zu, verfolgt von durchgedrehten Marktschreiern und an Land von Horden beleidigter Kunden
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