Friedhof für Verrückte
erwartet.
In Wahrheit saß dort natürlich kein römischer Sklaventreiber, der den Takt angab.
Es war Manny Leibers Tisch. Er brütete dort alleine vor sich hin, stocherte in seinem Essen wie in den von Cäsars Wahrsagern ausgebreiteten Innereien der Tauben herum, spießte die Milz mit der Gabel auf, ignorierte das Herz, blickte in die Zukunft. An manchen Tagen fläzte er dort mit seinem Studioarzt, Doktor Phillips, und die beiden versuchten unermüdlich, aus schnödem Leitungswasser neue Liebestränke und Zaubersäfte herauszufiltern. An anderen Tagen labte er sich an den Regisseuren und Filmautoren, die ihm geknickt gegenübersaßen und zustimmend nickten, ja, der Film sei terminlich im Verzug, sie würden das Tempo selbstverständlich beschleunigen!
Niemand wollte gerne an diesem Tisch sitzen. Oft lagen dort anstelle eines Schecks die Entlassungspapiere.
Als ich mich heute zur Tür hineindrückte und auf dem Weg zwischen den Tischreihen hindurch einige Zentimeter schrumpfte, war Mannys Empore leer. Ich blieb stehen. Es war das erste Mal, daß ich dort auf dem Tisch weder Geschirr noch Besteck noch Blumen sah. Manny war immer noch irgendwo dort draußen und schrie die Sonne an, weil sie ihn beleidigt hatte.
Doch auf mich wartete der längste Tisch in der Kantine, ein Tisch, der halb besetzt war und sich zunehmend füllte. An diesen Tisch hatte ich mich in den wenigen Wochen, die ich im Studio arbeitete, nie herangewagt. Wie die meisten Neulinge fürchtete ich mich davor, mit den furchtbar Klugen und den unglaublich Berühmten in Kontakt zu kommen. Als ich noch ein Kind war, hatte H. G. Wells in Los Angeles einen Vortrag gehalten, doch ich ging nicht hin, um mir ein Autogramm zu ergattern. Bei seinem Anblick wäre ich bestimmt vor Freude tot umgefallen. Genauso erging es mir mit dem Kantinentisch, an dem die besten Regisseure, Cutter und Autoren bei einem ewigwährenden letzten Abendmahl in Erwartung des sich verspätenden Christus beisammensaßen. Erneut verlor ich die Nerven, als ich meinen Blick schweifen ließ.
Ich schlich mich davon und steuerte auf eine weit entfernte, abseits gelegene Nische zu, in der Roy und ich des öfteren Sandwiches und Suppe in uns hineinschlangen.
»Nein, das werden Sie nicht tun!« tönte eine Stimme.
Ich zog den Kopf zwischen die Schultern, der Hals, vom Schweiß geschmiert, verschwand wie ein Periskop im Jackenkragen.
Fritz Wong rief: »Ihre Verabredung ist hier. Angetreten!«
Ich eierte zwischen den Tischen hindurch, stellte mich neben Fritz Wong und glotzte auf meine Schuhspitzen. Seine Hand auf meiner Schulter war drauf und dran, mir die Epauletten abzureißen.
»Hier ist unser Besucher von einem anderen Stern, jenseits der Kantine«, verkündete Fritz Wong. »Ich werde ihm seinen Platz zuweisen.«
Die Hände auf meinen Schultern drückten mich sanft nach unten.
Schließlich hob ich den Blick und schaute die Tafel hinab, in die Gesichter von zwölf Leuten, die mich interessiert betrachteten.
»Und nun«, verkündete Fritz Wong, »wird er uns von seiner Suche nach dem Monster erzählen!«
Das Monster.
Seit bekannt geworden war, daß Roy und ich das unglaublichste und schrecklichste Monster in der Geschichte Hollywoods erfinden und entwerfen sollten, hatten uns Tausende bei der Suche geholfen. Man hätte meinen können, wir suchten Scarlett O’Hara oder Anna Karenina. Aber nein … das Monster, und der sogenannte Wettbewerb zur Monstersuche, erschienen in Variety und im Hollywood Reporter. Mein Name und der von Roy standen in allen Artikeln. Jede noch so dämliche, unnütze Notiz schnitt ich aus und hob sie auf. Aus anderen Studios, von anderen Agenten und von Seiten der Öffentlichkeit wurden wir mit Fotos überschwemmt. Quasimodo Nummer zwei und drei zeigten sich am Studiotor, ebenso wie vier Phantome der Oper. Es wimmelte von Wolfsmenschen. Verwandte ersten und zweiten Grades von Bela Lugosi und Boris Karloff, die im Studio 13 aufgegriffen wurden, flogen in hohem Bogen raus.
Roy und ich kamen uns allmählich wie die Jury bei einem Schönheitswettbewerb vor, der von Atlantic City nach Transsilvanien verlegt worden war. Die Halbmenschen, die allabendlich vor dem Atelier warteten, waren schon ein Ding für sich; die Fotografien waren noch schlimmer. Schließlich verbrannten wir alle Bilder und verließen das Studio nur noch durch den Seitenausgang.
So war es uns den ganzen Monat über mit der Suche nach dem Monster ergangen.
Und jetzt fing Fritz Wong damit an:
Weitere Kostenlose Bücher