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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Alpträume, das schon eher. Und ich selbst, ich zusammengeflickte Affenpfote? Wen könnte ich schon erschrecken?«
    »Keine Bange«, sagte Roy. »Der Schrecken kommt erst später, wenn ich nachts um drei an Sie denke.«
    Das war’s. Groc ließ das größte Gelächter aller Zeiten vom Stapel und winkte uns in seine Tischnische.
    »Da Ihre Nacht sowieso ruiniert ist, trinken wir einen!«
    Roy und ich blickten uns nervös im Restaurant um.
    Nicht die Spur von einem Monster.
    Als jeder ein Glas Champagner hatte, prostete uns Groc zu.
    »Auf daß Sie niemals einem Toten die Wimpern nachziehen müssen, niemals die Zähne eines Toten putzen, seinen Bart frisch einwachsen oder seine syphilitischen Lippen in Form bringen.« Groc erhob sich und schaute zur Tür, durch die seine Damen verschwunden waren.
    »Haben Sie deren Gesichter gesehen?« lächelte Groc versonnen. »Mein Werk! Wissen Sie auch, warum diese Mädchen so verschossen in mich sind, und weshalb sie mich nie verlassen werden? Ich bin der Großlama vom Tal des Blauen Mondes. Sollten sie jemals davonlaufen, dann knallt eine Tür zu, die meine nämlich, und ihre Gesichter sacken ab. Ich habe sie auch darauf aufmerksam gemacht, daß ich feine Drähte an ihren Kieferknochen und unter den Augen eingehängt habe, und wenn sie den Bogen zu sehr überspannen – dann fasert ihnen das Gesichtsfleisch aus. Und dann werden sie nicht mehr wie dreißig, sondern wie zweiundvierzig aussehen!«
    »Fafner«, grunzte Roy. Seine Finger klammerten sich an die Tischplatte, als wollte er aufspringen.
    »Was?«
    »Ein Freund«, sagte ich. »Wir dachten, wir würden ihn heute abend hier treffen.«
    »Heute abend ist vorbei«, sagte Groc. »Aber bleiben Sie doch noch. Trinken sie den Champagner aus. Bestellen Sie mehr davon, geht alles auf meine Rechnung. Möchten Sie vielleicht einen Salat, bevor die Küche schließt?«
    »Ich bin nicht hungrig«, sagte Roy. In seinen Augen spiegelte sich der wilde, enttäuschte Shrine-Opera-Siegfried-Ausdruck.
    »Ja, gerne«, sagte ich.
    »Zweimal Salat«, sagte Groc zum Ober. »Mit Gorgonzolasoße?«
    Roy schloß die Augen. »Ja, bitte«, sagte ich.
    Groc wandte sich an den Ober und drückte ihm ein unnötig hohes Trinkgeld in die Hand.
    »Verwöhnen Sie meine Freunde«, sagte er grinsend. Dann sah er zur Tür, durch die seine Damenbegleitung auf Ponyhufen hinausgetrottet war, und schüttelte den Kopf. »Ich muß gehen. Es regnet. Das viele Wasser auf den Gesichtern meiner Mädels. Sie werden zerfließen! So long. Arrivederci!«
    Und draußen war er. Die Eingangstür klappte mit einem Flüstern zu.
    »Laß uns gehen. Ich komme mir vor wie ein Idiot«, sagte Roy.
    Er machte eine Bewegung und verschüttete seinen Champagner. Fluchend tupfte er die Pfütze auf. Ich schenkte ihm ein neues Glas ein und schaute zu, wie er es langsam austrank und sich allmählich beruhigte.
    Fünf Minuten später passierte es, im hinteren Teil des Restaurants.
    Der Oberkellner drapierte eine Sichtblende um den Tisch in der hintersten Ecke. Sie war etwas verrutscht und hatte sich mit einem scharfen Knall wieder zusammengeklappt. Der Kellner murmelte etwas vor sich hin. Und plötzlich war an der Tür zur Küche eine leichte Unruhe; erst jetzt fiel mir auf, daß dort ein Mann und eine Frau schon einige Sekunden lang gestanden hatten. Nachdem der Kellner die Blende wieder aufgestellt hatte, traten die beiden ins Licht hinaus und eilten, ohne nach links oder rechts zu blicken, geradewegs auf den Tisch zu.
    »O mein Gott«, raunte ich heiser. »Roy?«
    Roy schaute auf.
    »Fafner!« flüsterte ich.
    »Nein.« Roy verstummte, starrte hinüber, lehnte sich zurück und beobachtete, wie das Paar sich eilig durch den Raum bewegte.
    »Doch.«
    Nicht Fafner war es, der mythologische Drache, die schreckliche Schlange, was sich schnell von der Küche zum gedeckten Tisch bewegte und dabei seine Dame an der Hand hinter sich herzog.
    Es war das, wonach wir so viele Wochen und Tage verzweifelt Ausschau gehalten hatten. Es war das, was ich auf ein Blatt Papier hätte kritzeln oder in die Schreibmaschine hätte hacken sollen, wobei mir ein eisiges Frösteln den Arm heraufgekrochen wäre und es mir eiskalt den Nacken heruntergelaufen wäre.
    Es war das, wonach Roy ein ums andere Mal gesucht hatte, wenn er seine langen Finger in seine Tonbatzen tauchte. Es war eine blutrote Blase, die dampfend aus einem urzeitlichen Schlammtiegel aufstieg und sich von selbst in ein Gesicht verwandelte.
    Dieses

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