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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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über Roys Gesicht.
    »Lies weiter«, sagte er.
    Ich las:
     
    Und auf dem Sockel steht die Schrift: »Mein Name
    Ist Osymandias, aller Kön’ge König: -
    Seht meine Werke, Mächt’ge, und erbebt!«
     
    Nichts weiter blieb. Ein Bild von düstrem Grame,
    Dehnt um die Trümmer endlos, kahl, eintönig
    Die Wüste sich, die den Koloß begräbt.
     
    Als ich zu Ende gelesen hatte, passierte Roy noch zwei oder drei dunkle Häuserblocks, dann sagte ich: »Dreh um, laß uns zurückfahren.«
    »Warum denn?«
    »Dieses Gedicht klingt wie das Filmstudio und der Friedhof zusammen. Hattest du jemals eine dieser Kristallkugeln, in denen, wenn man sie schüttet, innen der Schnee wie bei einem Schneesturm umherwirbelt? Genau so fühlen sich jetzt meine Knochen an.«
    »Dummes Zeug«, lautete Roys Kommentar.
    Ich warf einen Blick auf sein großartiges Habichtsprofil, das die Nachtluft zerschnitt, voll von dem Optimismus, den nur Handwerker zu besitzen scheinen, überzeugt davon, eine Welt nach ihren ureigenen Vorstellungen erschaffen zu können, egal, was immer passierte.
    Ich erinnerte mich daran, wie wir beide dreizehn Jahre alt gewesen waren und King Kong vom Empire State Building stürzte und uns unter sich begrub. Als wir wieder hervorkrochen, waren wir zwei völlig andere Wesen. Wir beteuerten einander, daß wir auf Teufel komm raus ein Monster ersinnen und erbauen würden, das ebenso groß und so fantastisch würde wie Kong.
    »Monster«, flüsterte Roy. »Hier sind wir.«
    Wir parkten vor dem Brown Derby, einem Restaurant, das trotz seines Namens nicht wie ein brauner Derbyhut aussah – im Gegensatz zu seinem Konkurrenten auf dem knapp fünf Meilen entfernten Wilshire Boulevard. Dessen Dach bildete einen so großen Hut, daß er Gottvater an Ostern gepaßt hätte, oder aber jedem x-beliebigen Studioboß an einem Freitag nachmittag. Die 999 Cartoon-Karikaturen, die drinnen ringsum an den Wänden hingen, waren der Grund, weshalb dieses Brown Derby das bekanntere war. Von außen war es lediglich eine pseudospanische Attrappe. Wir glaubten der Attrappe, traten ein und nahmen die Herausforderung der 999 an.
    Bei unserem Erscheinen zog der Oberkellner des Brown Derby die linke Augenbraue hoch. Er, der früher einmal ein Hundefreund gewesen war, liebte jetzt nur noch Katzen. Wir verströmten einen eigenartigen Geruch.
    »Die Herren haben bestimmt nicht reserviert?« fragte er gedehnt. Die Nackenhaare des Oberkellners sträubten sich, doch er ließ uns eintreten.
    Das Restaurant war beinahe menschenleer. Nur an wenigen Tischen saßen Leute, die gerade ihr Mahl mit einem Dessert oder einem Cognac abrundeten. Die Kellner hatten schon damit begonnen, einige Tische für den nächsten Tag frisch zu decken.
    Weiter hinten erscholl Gelächter, und wir sahen drei Frauen, die neben einem Tisch standen, einem Mann zugewandt, der offensichtlich nach Geld suchte, um die Rechnung des Abends zu begleichen. Die jungen Damen lachten, erklärten dem Mann, sie würden draußen die Schaufenster betrachten, bis er gezahlt habe. Dann rauschten sie in einer Wolke von Parfüm an mir und Roy vorbei, die wir wie angewurzelt stehenblieben und den Mann dort am Tisch anstarrten.
    Stanislau Groc.
    »Herrje!« schrie Roy. »Sie!«
    »Ich?«
    Grocs ewiges Licht verlosch.
    »Was machen Sie denn hier?« rief er herüber.
    »Wir wurden eingeladen.«
    »Wir suchen hier jemanden«, ergänzte ich.
    »Und fandet mich, was Sie ernsthaft aus der Bahn wirft«, beobachtete Groc.
    Roy machte Anstalten, sich zu verdrücken. Das alte Siegfried-Syndrom brach wieder durch. Ein Drache war versprochen, was er zu sehen kriegte, war eine Stechmücke. Er konnte seinen Blick nicht von Groc lösen.
    »Warum stieren Sie mich so an?« fuhr ihn der kleine Mann an.
    »Roy«, sagte ich warnend.
    Ich sah, daß Roy den gleichen Gedanken hatte wie ich. Es handelte sich um einen Scherz, sonst nichts. Jemand, der wußte, daß Groc heute abend hier essen würde, hatte uns an der Nase herumgeführt – um sowohl uns als auch Groc zu beschämen. Roy beäugte noch immer die Ohren, die Nase und das Kinn des kleinen Mannes.
    »Nein«, sagte Roy, »das paßt nicht zu Ihnen.«
    »Was denn? Warten Sie! Ja! Handelt es sich um die Suche ?« In seiner Brust fing ein kleines stilles Maschinengewehr zu rattern an und quoll kurz darauf als Gelächter über seine schmalen Lippen.
    »Aber warum ausgerechnet das Brown Derby? Die Leute, die hierher kommen, sind nicht die richtigen Schreckgespenster für euch.

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