Friedhof für Verrückte
Gesicht trug all die Verstümmelungen, Verunstaltungen und Agonien aller Verwundeten, Erschossenen und aller begrabenen Männer von zehntausend Kriegen, seit dem ersten aller Kriege.
Ein gealterter Quasimodo, dem Krebs, einer alles erfassenden Lepra anheimgegeben.
Und hinter diesem Gesicht gab es eine Seele, die dort für immer würde leben müssen.
Für immer! dachte ich. Er wird niemals dort herauskommen.
Das war unser Monster.
Das Schauspiel währte nur einen Augenblick.
Doch ich machte eine Blitzlichtaufnahme von dieser Kreatur, ich schloß die Augen und das fürchterliche Gesicht war auf meiner Netzhaut eingebrannt; so sengend eingebrannt, daß mir Tränen in die Augen schossen und sich meiner Kehle unwillkürlich ein Laut entrang.
Es war ein Gesicht, in dem zwei schrecklich wäßrige Augen ertranken. Ein Gesicht, in dem diese Augen im Delirium herumschwammen, ohne je ein Ufer zu finden, und weder auf einen Pol der Ruhe noch auf Rettung hoffen durften. Da sie sahen, daß sich nichts ihren Blicken darbot, das nicht verwerflich gewesen wäre, schwammen die Augen, strahlend vor Verzweiflung, auf der Stelle, hielten sich an der Oberfläche eines Aufruhrs von Fleisch, weigerten sich, einfach unterzugehen, aufzugeben und zu versinken. Irgendwo flackerte der Funke einer letzten Hoffnung, daß, wenn sie sich nur fleißig hin und her bewegten, sich vielleicht eine irgendwie geartete Rettung finden könnte, ein Hauch von selbstloser Schönheit, irgendeine Offenbarung, die besagte, daß nicht alles so schlimm war, wie es schien. Also trieben die Augen umher, in der glühendheißen Lava des zerstörten Fleisches verankert, in einer genetischen Schmelze, in der keine Seele, und sei sie noch so tapfer, überleben konnte. Während unterdessen die Nasenflügel unentwegt Luft einsogen und die Wunde des Mundes, ein einziger stiller Aufschrei der Verwüstung, den Luftstrom wieder entließ.
In diesem Augenblick sah ich, wie Roy nach vorne zuckte, dann wieder zurück, als würde er von Schüssen getroffen, und dann die rasche, unbewußte Bewegung seiner Hand in seine Jackentasche.
Kurz darauf war der seltsame, zerstörte Mann hinter der Blende aus unserem Blickfeld verschwunden. Roys Hand kam mit seinem kleinen Skizzenbuch und dem Bleistift aus der Tasche hervor, und während er unverwandt auf die Blende schaute, als könne er mit Röntgenaugen hindurchblicken, und ohne zu kontrollieren, was er da malte, warf Roy den Schrecken aufs Papier, den Alptraum, das rohe Fleisch der Zerstörung und der Verzweiflung.
Wie Dore vor ihm, verfügte Roy über die flinke Genauigkeit seiner wandernden, zuckenden, kratzenden, formenden Finger. Ein kurzer Blick auf die Massen Londons genügte, und schon schoß es aus ihm heraus, wie aus einem umgedrehten Stundenglas der Erinnerung, durch seine Fingernägel und den Stift floß jedes Auge, jeder Mund, jeder Kiefer, jedes Gesicht so lebendig und zugleich so vollkommen wie ein Meisterwerk. Zehn Sekunden lang tanzte und huschte Roys Hand in Epilepsien aus Erinnerung und Schöpfung über das Blatt, wie eine Spinne, die in kochendes Wasser gefallen ist. Eben noch war der Block leer. Im nächsten Augenblick war das Monster, nicht vollständig, doch das Wesentliche von ihm, zu erkennen!
»Verdammt!« murmelte Roy und warf den Stift auf den Tisch.
Ich blickte zu der spanischen Wand hinüber und dann auf das flüchtige Porträt.
Das dort auf dem Tisch kam dem halb positiven, halb negativen Gekritzel eines kaum wahrgenommenen Schreckens sehr nahe.
Ich konnte den Blick nicht von Roys Skizze abwenden, jetzt, wo das Monster versteckt war und der Oberkellner hinter der Blende die Bestellung aufnahm.
»Beinahe«, sagte Roy. »Aber noch nicht ganz. Unsere Suche ist beendet, Junior.«
»Nein.«
»Doch.«
Ich weiß nicht, aus welchem Grund ich mich aufrappelte. »Gute Nacht.«
»Wo willst du hin?« Roy war perplex.
»Nach Hause.«
»Wie willst du da hinkommen? Etwa eine Stunde mit dem Bus fahren? Setz dich wieder.« Roys Hand irrte über den Block.
»Hör auf damit«, sagte ich.
Ebensogut hätte ich ihm direkt ins Gesicht schießen können.
»Nachdem wir wochenlang gewartet haben? Du spinnst wohl. Was ist denn in dich gefahren?«
»Ich muß mich übergeben.«
»Ich auch. Glaubst du, ich genieße das hier?« Er dachte darüber nach. »Stimmt, mir wird schlecht, aber das hier kommt zuerst.« Er vervollständigte den Alptraum und arbeitete das Grauen noch deutlicher heraus. »Na?«
»Jetzt habe
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