Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
ich leise und berührte ihn am Ellenbogen. »Clarence, habe ich recht?«
    Der Mann wich zurück, drehte dann aber doch den Kopf. Das gleiche Gesicht, nur mit grauen Falten und der Bleichheit der Knochen, die es älter machten.
    »Was denn?« sagte er.
    »Erinnerst du dich an mich?« fragte ich. »Bestimmt. Ich bin damals in Hollywood herumgerannt, mit den drei verrückten Schwestern. Eine von ihnen hat diese geblümten Hawaiihemden gemacht, die Bing Crosby in seinen frühen Filmen getragen hat. Im Sommer 1934 stand ich jeden Mittag vorm Maximus. Du warst auch dort. Wie könnte ich das vergessen. Du hattest die einzige Skizze von der Garbo mit Autogramm, die ich jemals gesehen habe …«
    Nach meiner Litanei schien er sich noch unwohler zu fühlen. Bei jedem Wort versank Clarence noch tiefer in seinem Kamelhaarmantel.
    Er nickte nervös. Er blickte nervös zur Tür des Brown Derby hinüber.
    »Was machst du hier so spät am Abend?« fragte ich ihn. »Hier ist schon alles nach Hause gefahren.«
    »Kann man nie wissen. Ich habe sonst nichts zu tun …«, antwortete Clarence.
    Man kann nie wissen. Douglas Fairbanks, von den Toten auferstanden, könnte den Boulevard entlanggeschlendert kommen, oder besser noch: Brando. Fred Allen, Jack Benny und George Burns könnten auf dem Rückweg vom Legion Stadion um die Ecke biegen, wo die Boxkämpfe gerade vorüber und die Menschen glücklich waren, geradeso wie in der guten alten Zeit, die viel angenehmer war als die heutige Nacht, oder die Nächte, die noch kommen würden.
    Ich habe sonst nichts zu tun. Genau.
    »Richtig«, sagte ich. »Man kann nie wissen. Erinnerst du dich überhaupt noch an mich? An den Bekloppten? Den Behämmerten? Den Marsmenschen?«
    Clarences Augen hüpften auf und ab, von meinen Augenbrauen zur Nase, von der Nase zum Kinn, doch er schaute mir nicht in die Augen.
    »N-nein«, stotterte er.
    »Gute Nacht«, sagte ich.
    »Wiedersehen«, sagte Clarence.
    Roy führte mich schnurstracks zu seiner Blechkiste. Wir kletterten hinein, wobei Roy ungeduldig seufzte. Kaum saßen wir drin, grabschte er auch schon Block und Bleistift und wartete.
    Clarence stand immer noch in der Nähe des Taxis am Straßenrand, als die Türen des Brown Derby aufgingen und das Ungeheuer mit der Unschuld an der Hand herauskam.
    Es war eine wunderschöne warme Nacht, denn sonst hätte das, was dann passierte, nicht passieren können.
    Das Ungeheuer sog aus vollen Lungen die Luft in sich hinein, augenscheinlich trunken von Champagner und süßem Vergessen. Sollte ihm bewußt sein, daß er ein Gesicht aus einem längst vergessenen Krieg besaß, so ließ er sich das nicht anmerken. Er hielt seine Dame fest an der Hand und führte sie plaudernd und lachend zum Taxi. Plötzlich bemerkte ich an der Art und Weise, wie sie ging und den Blick auf nichts Bestimmtes richtete, daß sie …
    »Sie ist blind!«
    »Was?« raunzte Roy.
    »Sie ist blind. Sie kann ihn nicht sehen. Kein Wunder, daß sie befreundet sind! Er führt sie zum Essen aus und verschweigt ihr, wie er aussieht!«
    Roy beugte sich nach vorne und beobachtete die Frau angestrengt.
    »Mein Gott«, sagte er, »du hast recht.«
    Der Mann lachte, und die Frau stimmte in sein Lachen ein, wie ein benommener Papagei.
    In diesem Augenblick drehte sich Clarence, der dem Gelächter und dem Geplänkel zugehört hatte, herum, um sich das Paar anzusehen. Mit halbgeschlossenen Augen hörte er weiter intensiv zu, dann zuckte ein Ausdruck ungläubiger Überraschung über sein Gesicht. Ein Wort explodierte aus seinem Mund.
    Das Monster hörte zu lachen auf.
    Clarence ging einen Schritt auf den Mann zu und sagte etwas zu ihm. Auch das Lachen der Frau verstummte. Clarence stellte eine zweite Frage. Daraufhin ballte das Monster seine Hände zu Fäusten zusammen, stieß einen Schrei aus und reckte die Arme hoch in die Luft, als wolle es Clarence erschlagen, an Ort und Stelle in das Pflaster rammen.
    Clarence ging blökend in die Knie.
    Das Ungeheuer stand über ihm, mit zitternden Fäusten, sein Körper wankte hin und her, mehr oder weniger außer Kontrolle geraten.
    Clarence brüllte, und die blinde Frau, die vor sich ins Leere tastete, sagte etwas, und das Monster schloß die Augen und ließ die Arme wieder sinken. Sofort sprang Clarence auf und verschwand in der Dunkelheit. Um ein Haar wäre ich aufgesprungen und ihm gefolgt, aus welchem Grund auch immer. Im nächsten Augenblick half das Monster seiner blinden Freundin ins Taxi, und der Wagen röhrte

Weitere Kostenlose Bücher