Friedhof für Verrückte
die Sequenz noch einmal laufen. Die drei Männer kamen wieder lachend heraus und Arbuthnot grinste einmal mehr in die Kamera, an jenem längst vergessenen und unglaublich glücklichen Nachmittag.
Maggie las etwas in meinem Gesicht. »Nun? Sagen Sie schon aus!«
»Ich habe ihn diese Woche gesehen«, sagte ich.
»Unsinn. Haben Sie diese komischen Zigarren geraucht?«
Maggie ließ noch drei Bilder weiterlaufen. Arbuthnot hob den Kopf noch weiter hinauf in einen Himmel, der aussah, als würde es jeden Moment zu regnen anfangen.
Und jetzt rief und winkte Arbuthnot jemandem außerhalb des Bildes zu.
Ich nutzte den Moment. »Auf dem Friedhof, in der Nacht von Halloween, da war eine Vogelscheuche aus Draht und Pappmache mit seinem Gesicht.«
Nun sah man Arbuthnots Duesenberg am Straßenrand stehen. Er schüttelte Manny und Groc die Hand und versprach ihnen noch viele weitere glückliche Jahre. Maggie achtete nicht auf mich, sie schaute nur auf die hell-dunkel-hell-dunkel flackernden Bilder, die unter unserem Blick vorbeitanzten.
»In der Nacht von Halloween sollte man nichts glauben.«
»Andere Leute haben es auch gesehen. Einige sind vor Schreck davongerannt. Manny und ein paar andere sind tagelang wie auf Tretminen gelaufen.«
»So ein Unsinn«, schnaubte Maggie. »Was gibt’s sonst noch Neues? Wie Sie vielleicht bemerkt haben, halte ich mich im Projektionsraum auf oder hier oben, wo die Luft so dünn ist, daß man beim Heraufsteigen Nasenbluten bekommt. Deswegen mag ich den irren Fritz. Er dreht bis Mitternacht, ich schneide bis zum Morgengrauen. Dann machen wir einen mehrstündigen Winterschlaf. Jeden Tag, wenn sich die kühle, nackte Wirklichkeit gegen fünf Uhr zurückzieht, stehen wir auf und richten uns nach dem Sonnenuntergang. An einem oder zwei Tagen, wie Sie vielleicht auch schon bemerkt haben, gehen wir auf Pilgerfahrt in die Kantine, um Manny Leiber zu zeigen, daß wir noch unter den Lebenden weilen.«
»Leitet er wirklich das Studio?«
»Wer sonst?«
»Keine Ahnung. Ich fühle mich in Mannys Büro immer so komisch. Die Einrichtung sieht unbenutzt aus. Der Schreibtisch ist immer leergefegt, nichts als ein großes weißes Telefon steht darauf, in der Mitte. Und der Stuhl hinter dem Schreibtisch ist viel zu groß für Manny Leibers Allerwertesten. Manny würde darin wie Charlie McCarthy aussehen.«
»Er benimmt sich wie eine Urlaubsvertretung, wenn Sie das meinen. Das liegt vermutlich am Telefon. Jeder denkt doch, die Filme werden in Hollywood gemacht. Weit gefehlt. Das Telefon ist die direkte Verbindung nach New York City, zu den Spinnen. Die spannen ihre Spinnweben quer über das ganze Land und fangen hier die Fliegen. Die Spinnen kommen nie zu uns in den Westen. Sie haben Angst, wir könnten merken, daß sie alle Pygmäen sind. Von der Größe eines Adolph Zukor.«
»Das Problem ist nur«, sagte ich, »daß ich am Fuße einer Leiter stand, auf dem Friedhof, mit der Puppe, dem Strohmann, oder was auch immer, im Regen.«
Maggie Botwins Hand zuckte an der Kurbel. Arbuthnot winkte viel zu schnell zur anderen Straßenseite hinüber. Die Kamera schwenkte hinüber: Kreaturen aus einer anderen Welt, die wilde Meute der Autogrammsammler. Die Kamera streifte über ihre Gesichter.
»Bitte mal anhalten!« rief ich. »Da!«
Maggie kurbelte noch zwei Einzelbilder weiter, bis ein Dreizehnjähriger auf Rollschuhen deutlich zu sehen war.
Ich zeigte behutsam, liebevoll auf das Bild.
»Das sind doch wohl nicht Sie«, sagte Maggie Botwin.
»Das bin ich, der gute alte Knabe von damals.«
Maggie Botwin ließ ihren Blick zu mir hinüberwandern und dann zwanzig Jahre zurück in die Vergangenheit, bis zu jenem Oktobernachmittag, an dem jeden Moment der Regen einzusetzen drohte.
Da war er, der Trottel aller Trottel, der Verrückteste von allen, wie immer linkisch auf seinen Rollschuhen herumbalancierend, immer knapp davor, in den vorbeiziehenden Verkehr zu stolpern oder auch in arglose Fußgängerinnen.
Sie spulte zurück. Wieder winkte Arbuthnot mir, der ich noch nicht im Bild war, an diesem Herbstnachmittag zu.
»Arbuthnot«, sagte sie leise, »und Sie … beinahe zusammen?«
»Der Mann auf der Leiter im Regen? Genau.«
Maggie seufzte und spulte weiter. Arbuthnot stieg in seinen Wagen und fuhr einem nur noch wenige Wochen entfernten Autounfall entgegen.
Ich sah dem Wagen nach, so wie mein jüngeres Ich auf der anderen Seite der Straße ihm damals hinterhergeschaut haben mußte.
»Sprechen Sie mir nach«,
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