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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Augen rief: »Sagt denn keiner ›Schnitt‹?«
    »Schnitt«, sagte Fritz Wong leise.
    »Sie haben sich gerade einen Feind gemacht«, sagte Maggie Botwin neben mir.
    Ich blickte mich um. Dort stand Manny Leiber und fixierte mich. Auf einmal wirbelte er herum und stolzierte davon.
    »Sehen Sie sich vor«, sagte Maggie. »Sie haben innerhalb von achtundvierzig Stunden drei Fehler gemacht. Sie haben Judas wieder zu seinem Job verholfen. Sie haben den Schluß des Films gerettet. Sie haben J. C. gefunden und ihn rechtzeitig zum Drehort zurückgebracht. Unentschuldbar.«
    »Herrje«, stöhnte ich.
    J. C. ging durch die Menge der Statisten davon, ohne auf Lob zu warten. Ich rannte ihm nach.
    Wohin des Wegs? fragte ich stumm.
    Einen Moment ausruhen, antwortete er ebenso wortlos.
    Mein Blick fiel auf seine Handgelenke. Die Blutung hatte aufgehört.
    Auf einer Kreuzung mitten im Studiogelände nahm mich J. C. bei den Händen, und sein Blick verlor sich in der Ferne.
    »Junior …?«
    »Was denn?«
    »Dieses Ding, von dem wir gesprochen haben … der Regen … und der Mann auf der Leiter.«
    »Was ist damit?«
    »Ich habe ihn gesehen.«
    »Mein Gott, J. C! Wie sah er aus? Was …«
    »Schsch!« Erlegte den Zeigefinger auf die geschminkten Lippen.
    Dann verschwand er Richtung Kalvarienberg.
    Constance fuhr mich kurz nach Tagesanbruch zu meiner Wohnung.
    Dort, in meiner Straße, schienen keine fremden Wagen mit Spionen auf mich zu warten.
    Constance legte noch einen großen Auftritt aufs Parkett, als sie sich in der Haustür über mich hermachte.
    »Constance! Die Nachbarn!«
    »Laß die Nachbarn, mein Süßer!« Sie küßte mich so fest, daß meine Armbanduhr stehenblieb. »Jede Wette, daß dich deine Frau nicht so küßt!«
    »Da wäre ich schon vor sechs Monaten tot gewesen!«
    »Faß dir dorthin, wo es dir was ausmacht, wenn ich die Tür zuknalle!«
    Ich faßte dorthin, sie knallte die Tür zu und fuhr davon. Beinahe im gleichen Augenblick schlug die Einsamkeit wie eine Woge über mir zusammen. Es war, als sei Weihnachten ein für allemal vorbei.
    Im Bett dachte ich dann: J. C, du Mistkerl! Warum hast du mir nicht mehr erzählt?
    Und dann: Clarence! Warte auf mich!
    Ich komme zurück!
    Noch ein allerletzter Versuch!
     

45
     
    Gegen Mittag fuhr ich zur Beachwood Avenue.
    Clarence hatte nicht auf mich gewartet.
    Ich wußte es sofort, als ich die halboffene Tür seines Apartments aufdrücken mußte. Innen lagen Schneestürme von zerrissenem Papier, zerfetzten Büchern und aufgeschlitzten Bildern, ganz so wie das Massaker in Atelier 13, wo man Roys Dinosaurier zertrümmert und zerschlagen hatte.
    »Clarence?«
    Ich drückte die Tür weiter auf.
    Der Alptraum eines Geologen.
    Knöcheltief lagen dort Briefe und Zettel mit den Unterschriften von Robert Taylor und Bessie Love und Ann Harding, von 1935 oder noch früher. Das war die oberste Schicht.
    Weiter unten, über einen speckigen Teppich verstreut, lagen Tausende von Schnappschüssen, die Clarence von Al Jolson, John Garfield, Lowell Sherman und Madam Schumann-Heink gemacht hatte. Zehntausend Gesichter starrten mich an. Die meisten davon waren schon lange tot.
    Unter weiteren Schichten lagen Autogrammbücher vergraben, Filmgeschichten, Plakate von zehn Dutzend Stummfilmen, angefangen mit Bronco Billy Anderson und Chaplin bis zu all den Jahren, in denen das Lilienbündel der Gish-Schwestern bleich über die Leinwand huschte, um die Einwanderer zu Tränen zu rühren. Und ganz zum Schluß, unter King Kong und die weiße Frau, Die versunkene Welt und Laugh Clown Laugh, unter all den Riesenspinnen und den Tänzern mit den gepuderten Zehen und den untergegangenen Städten entdeckte ich: Einen Schuh.
    Zu dem Schuh gehörte ein Fuß. Der Fuß, eigenartig verdreht, gehörte zu einem Knöchel. Der Knöchel führte zu einem Bein. Und so weiter, den ganzen Körper hinauf, bis ich in ein Gesicht blickte, in dem sich noch das Entsetzen des Todes spiegelte. Da lag Clarence, in die Ecke geschleudert und unter Hunderttausenden von Autogrammen abgelegt, versunken in einer Flut alter Reklame und illustrierter Leidenschaften, die ihn bestimmt zerquetscht und ersäuft hätten, wäre er nicht bereits tot gewesen.
    So wie er aussah, hätte er an einem Herzschlag gestorben sein können, die am einfachsten festzustellende Todesursache. Seine Augen waren weit aufgerissen wie bei einer Blitzlichtaufnahme, sein Mund in ungläubigem Staunen erstarrt: Was machen Sie da mit meinem Schlips, mit meinem Hals,

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