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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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keinen Applaus für gutes Benehmen. Jemand sagt ›umlegen‹, und dann wird umgelegt. Und du läufst durch die Gegend und denkst, alle Leute sind nett zu dir. Mensch, du würdest eine Nutte noch nicht mal erkennen, wenn sie dich anmacht, und einen Killer erst, wenn er dir sein Messer zwischen die Rippen rammt. Du würdest sterben und dabei würdest du sagen: ah, so ist das, aber dann ist es zu spät. Also höre auf den guten alten Jesus, Dummkopf.«
    »Ein willkommener Dummkopf, ein nützlicher Idiot. Genau das sagte Lenin.«
    »Lenin!? Da siehst du’s! Ich rufe: Dort sind die Niagarafälle, sieh dich vor, und du springst ohne Fallschirm von der Klippe. Lenin? Bah! Wo geht’s hier in die Klapsmühle?«
    J. C. zitterte, als er die Flasche leerte.
    »Nützlicher«, er schluckte, »Idiot.«
    »Hör mir zu«, sagte er, und es war ihm ernst. »Ich sage es nur einmal. Wenn du bei mir bleibst, wirst du zerquetscht. Wenn du wüßtest, was ich weiß, dann würden sie dich dort hinter der Mauer in zehn verschiedenen Gräbern beerdigen; schön kleingeschnitten, pro Grab ein Stückchen. Wenn deine Mama und dein Papa noch lebten, würden sie auch die verbrennen. Und deine Frau –«
    Meine Hände krallten sich in meine Ellbogen. J. C. hielt inne.
    »Entschuldige. Aber du bist verwundbar. Um Gottes willen, ich bin immer noch nüchtern. Wann kommt deine Frau zurück?«
    »Bald.«
    »Es ist vollbracht. Denk an das Buch Hiob. Sie hören nicht auf, ehe sie alle getötet haben. Diese Woche lief alles aus dem Ruder. Die Leiche, die du auf der Mauer gesehen hast – die wurde da aufgestellt, um –«
    »Um das Studio zu erpressen?« zitierte ich Crumley. »Haben die immer noch Angst vor Arbuthnot, nach all den Jahren?«
    »Die scheißen sich vor Angst in die Hosen! Manchmal haben die Toten in ihren Gräbern mehr Macht als die Lebenden. Sieh dir Napoleon an. Schon hundertfünfzig Jahre tot, und immer noch lebt er in zweihundert Büchern! Straßen und Babies werden nach ihm benannt. Alles verloren, im Scheitern gewonnen! Hitler? Der wird noch zehntausend Jahre herumspuken. Mussolini? Der hängt noch bis zum Ende unseres Lebens mit dem Kopf nach unten in dieser Tankstelle! Selbst Jesus.« Er betrachtete seine Wundmale. »Ich war nicht übel, aber jetzt muß ich abermals sterben. Der Blitz soll mich treffen, wenn ich einen unschuldigen Knaben wie dich mitnehme. Und jetzt kein Wort mehr. Hast du noch eine Flasche?«
    Ich reichte ihm den Gin.
    Er packte ihn. »Hilf mir jetzt auf das Kreuz und schau, daß du fortkommst!«
    »Ich kann dich nicht hier zurücklassen, J. C.«
    »Wo willst du mich denn sonst zurücklassen?«
    Er trank fast die ganze Flasche.
    »Das bringt dich noch um!« protestierte ich.
    »Es tötet nur den Schmerz ab, Junge. Wenn sie mich holen kommen, bin ich gar nicht mehr richtig da.«
    J. C. machte sich an den Aufstieg.
    Ich krallte mich in das abgewetzte Holz und schlug dann mit der Faust auf den Balken, das Gesicht nach oben gerichtet.
    »Verdammt nochmal, J. C. Herrschaft, wenn das heute deine letzte Nacht auf Erden ist – bist du sauber?«
    Er blieb auf halber Höhe stehen. »Was?«
    Es explodierte förmlich aus meinem Mund: »Wann hast du zuletzt gebeichtet!? Wann, wann?«
    Sein Kopf ruckte von einer Seite zur anderen, bis sein Gesicht in Richtung der Friedhofsmauer und dem, was dahinter lag, zeigte.
    Ich war selbst von mir überrascht: »Wo? Wo hast du die Beichte abgelegt?«
    Sein Gesicht zeigte starr und unbeirrt, wie in Hypnose, nach Norden. Ich sprang auf, griff nach den Kerben und suchte mit den Füßen Halt.
    »Was tust du da?« rief J. C. »Das ist mein Kreuz!«
    »Jetzt nicht mehr. Paß auf: so und so und so!«
    Ich kletterte ihm hinterher, rückte ihm auf die Pelle, bis er rief: »Geh sofort hinunter!«
    »Wo hast du gebeichtet, J. C?«
    Er starrte mich an, doch sein Blick glitt gleich wieder nach Norden.
    Ich schickte meinen Blick in die gleiche Richtung, geradewegs den Querbalken entlang, an dem ein Arm, ein Handgelenk und eine Hand festgenagelt werden konnten.
    »Herrje, natürlich!« sagte ich.
    Wie über Kimme und Korn angepeilt, reihten sich die Friedhofsmauer, der Punkt an der Mauer, an dem die Wachspuppe aufgestellt worden war, und hinter der freien steinernen Fläche, die Fassade und die wartenden Tore der Kirche von St. Sebastian auf!
    »Ja!« keuchte ich. »Danke dir, J. C.«
    »Runter mit dir!«
    Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß sein Gesicht erneut dem Land der Toten und der

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