Friedhof für Verrückte
Ich würde gerne hinaufklettern und mich als Quasimodo fühlen. Das Ding ist doch stabil?«
»Nein!« sagte der Doktor, wieder viel zu rasch, und schwänzelte um mich herum wie ein Hund um einen Feuerhydranten. »Es ist nicht stabil genug. Wir bessern es gerade aus. Wir haben schon daran gedacht, das ganze Ding einfach abzureißen.«
Er drehte sich um und ging davon. »Schwachsinn! Sie sind schwachsinnig!« rief er, bevor er durch den Eingang der Kathedrale verschwand.
Ich blieb stehen und beobachtete, wie sich die Tür ungefähr zehn Sekunden lang öffnete. Dann erstarrte ich.
Aus dem Inneren drang eine Art Grunzen, dann ein Stöhnen, und danach ein Geräusch, als würde ein Kabel oder ein Seil gegen die Wände geschlagen.
»Doc?«
Ich trat auf die Schwelle, konnte jedoch nichts erkennen.
»Doc?«
Ein Schatten bewegte sich durch die luftigen Höhen der Kathedrale aufwärts. Es sah aus wie ein großer Sandsack, der in das Halbdunkel hinaufgehievt wurde.
Es erinnerte mich an Roys baumelnden Körper drüben in Halle 13.
»Doc!?«
Er war weg.
Ich starrte in die Dunkelheit hinauf auf etwas, das so aussah wie die Sohlen seiner Schuhe, die immer höher und höher nach oben entschwanden.
»Doc!«
Und dann passierte es.
Etwas knallte auf den Boden der Kathedrale.
Ein einzelner schwarzer Herrenhalbschuh.
»Gütiger Gott!« platzte ich heraus.
Ich lehnte mich zurück und sah einen langen Schatten, der hinauf in den Himmel über der Kathedrale gezogen wurde.
»Doc?« sagte ich.
52
»Fang!«
Crumley warf meinem Taxichauffeur einen Zehndollarschein zu; der Fahrer hupte und fuhr davon.
»Wie im Film!« sagte Crumley. »Man schmeißt Geld ins Taxi, und nie kriegt man Wechselgeld heraus. Sag danke.«
»Danke.«
»Herrje.« Crumley betrachtete sich mein Gesicht. »Komm rein. Nimm das mit.« Er reichte mir ein Bier.
Ich nahm einen Schluck und erzählte ihm von der Kathedrale, von Doc Phillips, daß ich so etwas wie einen Schrei gehört und dann einen Schatten gesehen hätte, der im Halbdunkel nach oben entschwunden sei. Und von dem einzelnen schwarzen Schuh, der auf den staubigen Kirchenboden geknallt sei.
»Ich habe es gesehen. Aber wer kann es bezeugen?« schloß ich meinen Bericht. »Das Studio will eine Zeitlang dichtmachen. Ich hatte immer angenommen, Doc sei einer der Schurken. Jetzt muß ihn einer der anderen Schurken geschnappt haben. Bislang gibt es noch keine Leiche. Armer Doc. Was rede ich da? Ich kann den Kerl nicht einmal leiden !«
»Herrgott noch mal«, sagte Crumley, »du schleppst mir das Kreuzworträtsel der New York Times an, dabei weißt du genau, daß ich mit Mühe und Not das von der Daily News schaffe. Du schleppst mir Leichen in die Wohnung wie eine Katze, die voll Stolz ihren Fang präsentiert, ohne Sinn und Verstand. Jeder x-beliebige Anwalt würde dich hochkant aus dem Fenster werfen. Jeder Richter würde dir mit seinem Hämmerchen aufs Hirn klopfen. Psychiater würden dir das Privileg einer Schockbehandlung glatt verweigern.«
»Stimmt«, sagte ich und versank allmählich in Depressionen.
Das Telefon klingelte.
Crumley reichte es mir.
Eine Stimme sagte: »Sie suchen ihn hier, sie suchen ihn dort, sie suchen den Wiesel an jedem Ort. Ist er im Himmel oder in der Höll’ –«
»Dieser verdammte Kobold!« gellte ich.
Ich ließ den Hörer fallen, als hätte ihn eine Bombe auseinandergerissen. Dann nahm ich ihn wieder auf.
»Wo bist du?«
Brumm. Surr.
Crumley krallte sich den Hörer, schüttelte den Kopf. »Roy?« sagte er.
Ich nickte, die Beine knickten mir weg.
Ich biß mir auf einen Fingerknöchel, versuchte eine Wand in meinem Kopf zu errichten, ein Schutz gegen das, was in mir hochkam. Meine Augen füllten sich mit Tränen.
»Er lebt, er lebt tatsächlich!«
»Bleib ruhig.« Crumley drückte mir noch ein Bier in die Hand. »Beuge den Kopf nach vorne.«
Ich beugte mich zu ihm hinüber, damit er mir den Nacken massieren konnte. Tränen tropften von meiner Nase. »Er lebt. Gott sei Dank.«
»Warum hat er nicht früher angerufen?«
»Vielleicht hatte er Angst.« Ich redete blind auf den Fußboden ein: »Wie schon gesagt: Sie machen dicht, schließen das Studio. Vielleicht wollte er, daß ich ihn für tot hielt, damit sie mich in Ruhe ließen. Vielleicht weiß er mehr über das Monster als wir.«
Mein Kopf zuckte.
»Augen zu.« Crumley bearbeitete meine Nackenmuskeln. »Mund zu.«
»Großer Gott, er sitzt in der Falle und kann nicht raus; oder er will nicht
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