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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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raus. Versteckt sich. Wir müssen ihn retten!«
    »Retten, daß ich nicht lache«, sagte Crumley. »In welcher Stadt ist er denn? In Boston oder in der Außendekoration auf dem Studiogelände? In Uganda oder auf der grünen Wiese? Im Ford-Theater? Es ist zum Sich-Erschießen. Er kann an neunundneunzig verschiedenen Orten versteckt sein. Sollen wir in der Gegend herumrennen und Kuckuck rufen, damit er sich zeigt, und uns nebenbei umlegen lassen? Auf diese Studiotour darfst du allein gehen!«
    »Crumley, der Feigling.«
    »Ja doch.«
    »Du brichst mir den Hals!«
    »Jetzt hast du’s kapiert.«
    Mit dem Kopf nach unten ließ ich mir die Verspannungen und Knoten zu warmem Brei kneten. »Was nun?« fragte ich.
    »Laß mich nachdenken, verdammt!« Crumley quetschte nicht gerade zart an meinem Hals herum.
    »Keine Panik«, murmelte er. »Wenn Roy noch dort drin ist, müssen wir eine Schicht nach der anderen von dieser verflixten Zwiebel abschälen, um ihn zur rechten Zeit am rechten Ort zu finden. Wir dürfen nicht laut rufen, sonst bricht eine Lawine über uns herein.«
    Crumleys Hände kraulten mich jetzt sanft, väterlich hinter den Ohren.
    »Die ganze Sache läuft einfach darauf hinaus, daß das Studio eine Heidenangst vor Arbuthnot hat«, sagte ich.
    »Arbuthnot«, sinnierte Crumley. »Ich will mir mal sein Grab ansehen. Womöglich finden wir dort etwas, eine Spur, einen Hinweis. Bist du sicher, daß er noch dort liegt?«
    Ich setzte mich wieder auf und starrte ihn an.
    »Du meinst: Wer liegt in General Grants Grab?«
    »Dieser alte Witz, ja. Woher sollen wir wissen, daß General Grant wirklich noch dort ist?«
    »Wir können es nicht wissen. Lincolns Leiche beispielsweise wurde zweimal geraubt. Vor siebzig Jahren hatten die ihn tatsächlich schon bis zum Friedhofstor weggeschleppt, als man sie schnappte.«
    »Du meinst …«
    »Kann sein.«
    »Kann sein?!« fuhr mich Crumley an. »Himmel, ich muß mir mehr Haare wachsen lassen, damit ich sie mir einzeln ausreißen kann! Gehen wir uns Arbuthnots Grab ansehen oder nicht?«
    »Na ja …«
    »Was heißt hier ›na ja‹, verdammt nochmal!« Crumley rieb sich wie wild über die Glatze und funkelte mich an: »Du hast doch geschrien, der Mann auf der Leiter sei Arbuthnot. Kann sein! Wieso soll es plötzlich so abwegig sein, daß jemand Wind von einer gewaltsamen Todesursache bekommen hat und den Leichnam stiehlt, um sich Gewißheit zu verschaffen. Warum? Vielleicht war der Autounfall nicht das Resultat von Trunkenheit am Steuer, sondern passierte vielmehr, weil Arbuthnot während der Fahrt starb. Wer auch immer diese um zwanzig Jahre verspätete Autopsie vorgenommen hat, besitzt Beweismaterial für einen Mordfall, Material für eine hübsche Erpressung; dann muß man das Studio nur noch mit einer Puppe erschrecken und den Zaster wegschaufeln.«
    »Crum, das ist großartig.«
    »Nein, nur Spekulation, graue Theorie. Es gibt nur einen Weg, um sich Klarheit zu verschaffen.« Crumley stierte auf seine Armbanduhr. »Heute nacht. Wir klopfen bei Arbuthnot an. Mal sehen, ob er zu Hause ist oder ob ihn jemand ausgeführt hat, um in seinen Eingeweiden zu lesen, um Cäsars angeknackste Legionen so zu erschrecken, daß sie vor Angst Blut pinkeln.«
    Ich dachte an den Friedhof. Schließlich sagte ich: »Es hat keinen Zweck, es sei denn, wir nehmen einen richtigen Schnüffler mit, als Gutachter.«
    »Einen richtigen Schnüffler?« Crumley wich zurück.
    »Einen blinden Spürhund.«
    »Einen blinden Spürhund?« Crumley versuchte, meine Gedanken zu lesen. »Kann es sein, daß dieser Hund an der Ecke Temple und Figueroa wohnt? Im dritten Stock?«
    »Egal, was man um Mitternacht auf einem Friedhof sieht, man braucht auf jeden Fall eine gute Nase. Er hat eine gute Nase.«
    »Henry? Der beste Blinde der Welt?«
    »In der Tat«, sagte ich.
     

53
     
    Ich hatte vor Crumleys Haustür gestanden, und sie hatte sich für mich geöffnet.
    Ich hatte an Constance Rattigans Strand gestanden, und sie war aus dem Meer gestiegen.
    Und jetzt drückte ich mich den teppichlosen Flur des alten Mietshauses entlang, in dem ich einst mit einer Zimmerdecke voller Träume und Pläne gewohnt hatte, mit leeren Hosentaschen und nichts als einem weißen Blatt Papier, das in meiner tragbaren Smith-Corona wartete.
    Als ich vor Henrys Tür ankam, schlug mir das Herz bis an den Hals, denn direkt unter mir war das Zimmer, in dem meine liebe Fannie gestorben war; seit diesen langen, traurigen Tagen, an denen gute Freunde

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