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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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immer schreibe. Es gehört dir!«
    »Herrgott, Jesus und der Heilige Geist zusammen.« Henry sank in seinen Sessel zurück und betastete seinen Mund. »Ist das ein Lächeln, oder ist das ein Lächeln? Nur für zwei Tage!« fügte er rasch hinzu. »Der Taugenichts von meinem Schwager kommt von New Orleans herübergefahren und holt mich ab, nach Hause. Dann hast du mich von der Pelle –«
    Sein Lächeln erstarrte, er beugte sich nach vorne.
    »Schon wieder Probleme? Dort draußen in der feindlichen Welt?«
    »Nicht direkt Probleme, Henry. So was in der Art.«
    »Hoffentlich nicht zu sehr in der Art.«
    »Mehr noch«, sagte ich einen Herzschlag später. »Kannst du mit mir mitkommen, jetzt gleich? Es tut mir leid, wenn ich dich so hetze, Henry, und es tut mir leid, dich mitten in der Nacht aufzuscheuchen.«
    »Aber, mein Junge«, lachte Henry gutmütig, »Tag und Nacht sind für mich nur ein Gerücht, das ich als Kind irgendwo aufgeschnappt habe.«
    Er stand auf und tastete um sich.
    »Augenblick«, sagte er, »bis ich meinen Stock gefunden habe. Sonst sehe ich ja nichts.«
     

54
     
    Crumley, der blinde Henry und ich trafen um Mitternacht vor dem Friedhof ein.
    Ich zögerte noch und betrachtete mißtrauisch das Tor.
    »Er ist da drin.« Ich nickte zu den Grabsteinen hinüber.
    »Das Monster ist in jener Nacht dort hineingerannt. Was sollen wir tun, wenn wir ihm in die Arme laufen?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung.« Crumley marschierte durch das Tor.
    »Zum Henker«, sagte Henry. »Warum auch nicht?«
    Er ließ mich mitten in der Nacht auf dem leeren Gehsteig stehen. Also lief ich den beiden hinterher.
    »Langsam, laß mich mal tief einatmen.« Henry inhalierte und atmete wieder aus. »Jawohl. Wenn das kein Friedhof ist!«
    »Macht es dir was aus, Henry?«
    »Ach was«, sagte Henry, »die Toten sind mir egal. Die Lebenden rauben mir den Schlaf. Wollt ihr wissen, woher ich weiß, daß dies hier nicht nur irgendein alter Garten ist? Ein Garten ist voll von unterschiedlichsten Blumengerüchen, ein richtiger Cocktail. Friedhöfe? Hauptsächlich Hyazinthen. Von den Beerdigungen. Wegen diesem Geruch habe ich Beerdigungen immer gehaßt. Wie stelle ich mich an, Herr Polizist?«
    »Erstklassig, nur …« Crumley schob uns weiter aus der Helligkeit heraus. »Wenn wir noch länger hier herumstehen, kommt noch jemand auf die Idee, wir möchten begraben werden, und erledigt die Sache gleich an Ort und Stelle. Also los.«
    Crumley ging vorsichtig zwischen den Tausenden von milchigweiß leuchtenden Grabsteinen hindurch.
    Monster, dachte ich, wo bist du?
    Ich warf einen Blick auf Crumleys Wagen, und plötzlich kam er mir vor wie ein lieber Freund, den ich unendlich weit zurückließ.
    »Was ihr mir noch nicht verraten habt«, sagte Henry. »Warum nehmt ihr einen Blinden mit auf den Friedhof? Braucht ihr meine Nase?«
    »Dich und den Hund von Baskerville«, sagte Crumley. »Dort lang.«
    »Sei vorsichtig«, sagte Henry. »Ich habe zwar die Nase eines Hundes, aber den Stolz einer Katze. Paß nur auf, Gevatter Tod.«
    Und er führte uns zwischen den Grabsteinen hindurch, stocherte mit dem Stock links und rechts, als wolle er damit große Stücke aus der Nacht herauslösen oder dort Funken schlagen, wo noch nie ein Funke geschlagen worden war.
    »Wie mache ich mich?« flüsterte er.
    Ich stand mit Henry zwischen all den Marmorsteinen mit den eingemeißelten Namen und Daten, und dazwischen wuchs unschuldig das Gras.
    Henry schnupperte.
    »Ich rieche einen Mordssteinbrocken. Hier. Ist das Braille oder was?«
    Er wechselte den Stock in die linke Hand und fuhr zitternd mit der rechten über den in Stein gehauenen Namen auf dem Türsturz des griechischen Grabs.
    Seine Finger rutschten über das »A« und blieben auf dem letzten »T« haften.
    »Ich kenne diesen Namen.« Henry ließ eine Rolodex hinter seinen weißen Billardkugelaugen abspulen. »Sollte das etwa der lange verstorbene Eigentümer des Filmstudios gleich hinter der Mauer sein?«
    »Richtig.«
    »Dieser lärmende Mann, der in allen Vorstandszimmern saß und niemanden neben sich duldete? Der sich eigenhändig sein Fläschchen zubereitete und die Windeln wechselte, mit zweieinhalb den Sandkasten aufkaufte, mit drei die Kindergärtnerin feuerte, im Alter von sieben Jahren zehn Jungs zur Krankenstation schickte, mit acht Mädchen jagte, sie mit neun erwischte, mit zehn Jahren einen Parkplatz und an seinem zwölften Geburtstag das ganze Studio besaß, nachdem sein Papa

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