Friedhof New York
ihn zurollten.
Sie bewegten sich lautlos, sie kamen immer näher, als wollten sie nach seinen Füßen greifen, doch er hörte kein Plätschern und wurde auch nicht naß.
Das schwarze Wasser rollte heran, stoppte wieder, glitt von ihm weg, und das Spiel begann von vorn.
Ein ewiger Wechsel des schwarzen Wassers, in dem sich die etwas hellere Kulisse spiegelte.
Abe Douglas stand am Ufer und starrte in die Ferne. Er sah keine Begrenzung, die Schwärze war unendlich. Wahrscheinlich wuchs sie auch irgendwo mit dem Himmel zusammen, denn es war einfach alles möglich. Der Himmel war wolkenlos.
Er setzte sich aus graugrünen, stumpfen Farben zusammen, er hatte keine Tiefe.
Es strahlte kein Stern, dafür strichen hin und wieder Nebelschwaden aus dem Wasser in die Höhe, als wollten sie mit ihren Enden den mächtigen Himmel anfassen.
Das Bild blieb. Es war bekannt und trotzdem trügerisch. Hier machte man ihm etwas vor, hier wollte man ihn ängstigen und knechten, vielleicht auch durch die Bewegung, die plötzlich zu sehen war und die Ruhe dieser unheimlichen Landschaft zerstörte.
Da kam jemand…
Der Gegenstand bewegte sich in der Ferne weit vor ihm und auf dem schwarzen zittrigen Wasser. Für Abe nicht zu erkennen, nur spürte er bereits die schaurige Aura, die von diesem sich allmählich nähernden Gegenstand ausging.
Es war der Atem der Angst…
Rechts von ihm lag das geometrische Gebilde der Hochhäuser, die sich zu der Skyline vereinigten. Aber vor seinen Augen floß das zittrige schwarze Wasser, und darauf bewegte sich der Gegenstand so lautlos, als würde er schweben.
Ein Boot. Gleichzeitig auch ein Bote, denn hinter ihm wuchs etwas in die Höhe.
Ob es immer dagewesen war, wußte Abe nicht zu sagen. Es hatte durchaus vom Nebel verdeckt sein können, jetzt aber lag dieser Gegenstand frei und himmelhoch.
Abe erkannte ihn.
Der G-man staunte.
Kalt und warm zugleich rann etwas seinen Rücken hinab, denn dieses gewaltige Gebilde gehörte zu New York wie der Stein zu einer Pflaume.
Es war die Freiheitsstatue.
Sie, die Königin der Freiheit, ragte vor ihm hoch. Den rechten Arm gen Himmel gereckt, die Fackel in der Hand, der Kopf von einer Sternenkrone bedeckt. Die Freiheitsstatue war der Hoffnungsträger für Millionen von Auswanderern gewesen, die in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten kamen, um dort ihr Glück zu versuchen. Wenn die Auswanderer auf ihren Schiffen die Statue entdeckten, dann wuchs die Hoffnung der Menschen ins Unermeßliche, dann weinten, lachten oder beteten sie.
Nicht so der Träumer.
Der Anblick der Statue flößte ihm Furcht ein. Von unten her schaute er gegen das Gesicht, in dem er nicht viel erkennen konnte, wobei er aber glaubte, daß sich die Züge verändert hatten, denn sie zeigten einen Anflug von Trauer und Wehmut, als hätte es die mächtige Frau aufgegeben, an die Freiheit zu glauben. Sie hatte resigniert und war nicht mehr das, was sie hätte sein sollen.
Aber sie war es auch nicht, die sich bewegt hatte. Das überließ sie einem anderen Gegenstand, der über die schwarzen Wellen glitt, ohne daß ein Geräusch zu hören war.
Da fuhr ein Boot, eine Barke, und sie war nicht leer.
Jemand stand in ihr. Er hatte sich hoch aufgerichtet. Zudem hielt er sich am Bug der Barke auf. Er selbst rührte sich ebensowenig wie das Boot selbst und bewegte sich nur, wenn auch die Barke auf den Wellen zitterte.
Natürlich war er nicht so mächtig wie die Statue, und doch kam er dem Schauenden sehr groß vor. Vielleicht lag es auch an seiner Waffe, deren langen Griff er unter den Arm geklemmt hatte. Sie überragte ihn beinahe um eine Körperlänge, und aus der Spitze heraus wuchs das blanke Metall zur linken Seite hin. Es sah aus wie ein Halbbogen. Zum Stiel hin breiter, nach vorn hin spitz.
So sah nur eine Sense aus!
In der Tat trug die Gestalt eine Sense. Von ihr selbst war kaum etwas zu sehen, weil sie von einem dunklen Mantel umhüllt wurde. Er endete in einer Kapuze. Sie wiederum hatte die Gestalt so über den blanken knöchernen Schädel geschlagen, daß nur mehr die Frontseite freilag.
Sie war ein gelblich schimmerndes Knochengebilde, und jetzt wußte Abe Douglas auch, wen die Barke brachte.
Den Tod!
Verkleidet als Sensenmann, so wie man ihn sich vorstellte. Wenn er kam und sich zeigte, dann war der Untergang nahe, dann konnten ganze Städte und Regionen zu einem Friedhof werden.
Friedhof New York…
War das das endgültige Omen? Sollten die zahlreichen düsteren Propheten
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