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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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hin. Er selbst kniete sich neben Winfried auf den Boden. Es gab keinen dritten Stuhl.
    »Was«, fragte Lenz, »ist passiert?«
    »Ich weiß nicht«, sage Winfried leise. »Ich stand am Herd, hab in der Suppe gerührt, und dann … dann war auf einmal alles schwarz. Das gesunde Auge hat nichts mehr gesehen, ganz plötzlich, und ich hab getastet … den Herd hab ich noch ausgekriegt, ich dachte, gleich siehst du wieder was, war aber nicht, und da hab ich Angst gekriegt, richtige Angst, und ich muss den Topf … den muss ich irgendwie umgestoßen haben … bin blöd auf dem Boden gelandet, dann weiß ich nichts mehr. Wie ich aufgewacht bin, tat der Arm höllisch weh, und es war immer noch alles schwarz … aber ich hab den Wasserhahn gehört, der tropfte, und den Fernseher, da wusste ich, dass ich wach bin. Nur, dass ich immer noch nichts seh. Es ist weg. Das … das Bild ist weg.«
    Die Fensterfrau stand auf und machte den Fernseher aus.
    »Der Pfarrer hat recht«, sagte sie. »Wir brauchen einen Krankenwagen. Gestern Nacht waren sie ja schon da, für Herrn Umbrich … ungesundes Klima.« Ihr Lachen klang unlustig.
    »Machen Sie den Fernseher wieder an!«, bellte Winfried. »Ich bin wach, ich bin bei Bewusstsein! Der Fernseher ist nur aus, wenn ich schlafe. Ich! Schlafe! Nicht! Noch bin ich am Leben! Kein Grund, die Grube schon auszuheben für den alten Fuhrmann, ich …«
    Er hieb mit der Faust auf den Tisch, aber da war wenig Kraft in seinem Schlag.
    Lenz machte den Fernseher wieder an.
    »Er hatte einen Schlaganfall«, sagte er und nickte zu Winfried hin. »Vor ein paar Jahren. Seitdem hat er die Krücke.«
    »Und das war der zweite«, sagte die Fensterfrau. »Wie es aussieht. Haben Sie ein Telefon?«
    »Nein«, sagte Lenz und schnaubte. »Wir senden Rauchzeichen.«
    »Ich geh nicht ins Krankenhaus!«, knurrte Winfried. »Vergiss es, Junge! Ich geh da nicht noch mal hin! Du musst mir nur helfen … das Bein …«
    »Das Bein ist gebrochen«, sagte Lenz.
    »Dann ist es gebrochen. Es wird wieder heilen. Ich kann die Zähne zusammenbeißen. Nur die Schwärze macht mir Angst …«
    »Vielleicht kommt es wieder«, sagte die Fensterfrau. »Das Licht. Trotzdem müssen Sie in die Klinik.« Und, an Lenz gewandt: »Senden Sie ein Rauchzeichen, Herr Fuhrmann.«
    »Wer ist sie überhaupt?«, rief Winfried – oder er versuchte, zu rufen, denn auch in seiner Stimme lag keine Kraft.
    »Das ist Frau Pechten«, sagte Lenz. »Sie macht die Kirchenfenster, ich habe dir das erzählt.«
    »Wozu braucht die Kirche Fenster?«, knurrte Winfried. »Die Kirche hat Fenster. Regnet nirgends rein. Frau Pechten kann wieder nach Hause gehen. Hilf mir ins Bad, Junge, ich brauch eine andere Hose.«
    Lenz sah zu der Fensterfrau hinüber. Sie stand auf. Sie war jetzt nichts als ein Bündel aus Entschlossenheit. Entschlossenheit in Gummistiefeln.
    »Wo ist das Bad?«
    »Auf Wiedersehen«, sagte Winfried zu der Fensterfrau. »Der Junge und ich kommen alleine klar. Sind wir immer. Da ist die Tür.« Aber die Richtung, in die er zeigte, war die falsche.
    »Über den Flur und rechts«, sagte Lenz. »Das Bad, meine ich.«
    Und einen Moment lang war ihm einfach egal, wer die Fensterfrau war, dies war jenseits von Peinlichkeiten, sie war eine Person mit Armen und Händen und Muskeln, und es würde einfacher sein, Winfried mit ihr zusammen ins Bad zu bekommen.
    Es war einfacher. Winfried in die Badewanne zu hieven und abzuduschen wäre alleine unmöglich gewesen, vor allem, da er sich sträubte.
    »Saubere Sachen sind genug …«, knurrte er. »Ich bin kein kleines Kind, das man baden muss …«
    »Sie sind nicht gesund«, sagte die Fensterfrau. »Halten Sie still. Wir müssen den Dreck auch aus der Wunde an Ihrer Stirn und am Arm waschen.«
    Sie blieb bei Winfried, der, in ein Handtuch gewickelt, auf dem Fußboden saß, während Lenz seine Kleider aus der alten Kommode im Flur holte, und irgendwann hörte Winfried auf, zu protestieren. Sie legten ihn auf das durchgesessene Sofa in der Küche, von wo aus er den Fernseher hören konnte.
    Und schließlich standen sie nebeneinander draußen vor der Haustür. Es hatte aufgehört, zu regnen.
    »Siri«, sagte die Fensterfrau.
    »Ich weiß«, sagte Lenz. Und dann, nach einem Moment: »Lenz.«
    Sie streckte die Hand aus, und er nahm sie. Und als er in ihr Gesicht sah, war ihm die Farbe ihrer Augen wieder beinahe unheimlich. »Warum haben Sie das gemacht?«
    Sie zuckte die Schultern und sah weg.
    »Wie

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