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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Haarsträhne, die ihre Kinder an der Hand hielt.
    Auf dem Spielplatz hatte sich die Familie des Professors versammelt und hielt gemeinsam den kleinen Jungen fest, der gerne nach unten gestürmt wäre und nachgesehen hätte, was da los war. Diesmal war auch seine Mutter dabei. Und etwas abseits standen die Polizisten und der Direktor mit seiner Schwiegertochter – und bei ihnen stand Siri. Lenz schluckte.
    Siri sprach mit den Polizisten. Er sah, dass ihre Hosenbeine und der Saum des geblümten Mantels nass waren, als wäre sie ins Wasser gewatet. Sie sah übernächtigt und zerzaust aus und sehr blass; sie sah, um ehrlich zu sein, schrecklich aus.
    Und jetzt sah sie ihn an.
    In ihren Augen, deren Blau er auch von hier aus sah, stand etwas Beunruhigendes. Etwas Suchendes. Etwas Forschendes. Als wollte sie ihn etwas fragen, das sie mit Worten nicht fragen konnte. Etwas über Aljoschas Tod.
    Er merkte, wie er ganz leicht die Schultern zuckte.
    Er merkte, wie die Menge merkte, dass er die Schultern zuckte, und wie sie flüsterten, um sein Schulterzucken zu deuten. Sie traten noch ein wenig dichter zusammen, sie, die vielen, und hier stand er, ganz allein. In der letzten Nacht hatte er für Momente geglaubt, nicht mehr allein zu sein.
    Iris drückte seine Hand, und auf einmal lächelte er.
    Nein, er war nicht allein.
    »Lass uns hier verschwinden«, wisperte er.
    Aljoscha war ertrunken, die Nachricht lief durchs Dorf wie ein Kaninchen.
    Aljoscha hatte eine ziemliche Menge Alkohol im Blut gehabt und war ertrunken. Es gab kein Zeichen von Fremdeinwirkung. Er würde noch eine Weile in der Pathologie in der Stadt herumliegen und irgendwann beerdigt werden.
    »Friedhofskind«, sagte Werter, der bei der Kirche auftauchte, und schüttelte den Kopf. »Pass nur gut auf, was du tust.«
    Lenz nickte stumm.
    Werter – er spürte es – hatte jetzt auch Angst.
    Aljoscha, sagten Dieleute, hatte Siri etwas sagen wollen. Frau Hartwig hatte seinen Zettel im Papierkorb der Ferienwohnung gefunden. Sie würde ja niemandem nachspionieren, sagte Frau Hartwig, aber ein Papierkorb gehörte geleert, nicht wahr? Und darin also hatte der Zettel gelegen, ein Zettel, der besagte, dass Aljoscha Frau Pechten etwas zu erzählen hatte.
    Er hatte ihr aber nichts erzählt, sagte Frau Hartwig. Sie hatte Frau Pechten gefragt. Frau Hartwig brannte darauf, der Polizei von dem Zettel zu berichten, aber die Polizei fragte Frau Hartwig leider nicht. Denn sie fand den Zettel, leider, leider, erst ein paar Tage zu spät im Papierkorb, und da hatte die Polizei das Dorf bereits verlassen und beschlossen, dass dies einer der vielen Unfälle war, die passierten, wenn jemand betrunken ins Wasser fiel. Die Polizei anzurufen – das traute sich Frau Hartwig dann doch nicht.
    »Unfälle, Unfälle«, hörte man Werter murmeln. »Soso.«
    Aber wenn er zu Lenz sagte, er solle auf sich aufpassen, dann klang das nicht mal mehr herablassend, es klang nur dumm. Werter hatte seinen Faustschlag nicht vergessen, und er wusste, dass Lenz ihn nicht vergessen hatte.
    »Der glaubt, dass er der Nächste ist, der einen Unfall hat«, sagte Winfried und lachte trocken. »Ja, dann lass ihn das mal glauben.«
    »Wenn Werter also nichts passiert«, sagte Lenz zu Annelie, »wäre das der Beweis, dass ich nichts mit alldem zu tun habe?«
    Annelie zuckte die Schultern. »Möglich.«
    »In diesem Fall sollte ich auf Werter aufpassen«, sagte Lenz.
    Sie saßen auf der Veranda; die Frühsommerluft flutete herein wie eine Melodie, und alles war schön. Aber Aljoscha war tot, und die Frühsommerluft löste keine Probleme.
    »Annelie«, sagte Lenz, »glaubst du, dass ich etwas mit Aljoschas Tod zu tun habe?«
    Annelie legte ihre aderndurchzogene Hand auf seine. »Es spielt keine Rolle, was ich glaube.«
    »Natürlich!« Er sprang auf. »Natürlich spielt es eine Rolle! Ich –«
    Er brach ab und sah sie an. Auch ihre Augen waren durchzogen von winzigen Adern. Sie sagte nichts.
    »Annelie«, flüsterte er, »ich habe keine Ahnung, wie Aljoscha ins Wasser gekommen ist! Wirklich nicht! Vielleicht ist er schwimmen gegangen, einfach so, Besoffene tun das …«
    Sie sagte noch immer nichts, und er floh vor ihrem Schweigen, floh durch den Garten und kroch durch das Loch in der Hecke.
    »Du glaubst doch nicht, Annelie«, flüsterte er, längst außer Hörweite, »du glaubst doch nicht, dass ich etwas Schreckliches getan und es dann vergessen habe?«
    Und dann begann er tatsächlich, auf Werter

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