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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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aufzupassen.
    Es war absurd. Aber er musste ihnen beweisen, dass er nichts mit Aljoschas Tod zu tun hatte. Dass die Gerüchte nur Gerüchte waren. Er musste es ihnen beweisen, ihnen und vor allem … sich selbst.
    Jeden Abend wurde er eins mit den Schatten vor der Kfz-Werkstatt, wartete auf Werter wie ein treuer Hund und begleitete ihn nach Hause, ohne dass Werter etwas davon zu bemerken schien.
    Natürlich geschah nichts.
    Und Lenz kam der Frage, wer er war oder was er getan hatte, nicht näher.
    Winfried zog sich nach und nach in sich selbst zurück. Annelie buk zu viele Kekse.
    Iris lachte nur über ihn und sprach von den Schiffchen, die sie noch bauen mussten. Sie war keine Hilfe. Siri sah er kaum. Sie schien ihm auszuweichen.
    Das ganze Dorf wich ihm aus, der Juni verging, der Juli begann, und niemand besuchte Lenz auf dem Friedhof, auch nachts nicht. Vor allem nicht nachts.
    Er war alleiner als je zuvor.
    Und schließlich ging er hinunter zum Steg, wo Aljoschas verlassenes Boot lag, streifte seine Schuhe ab und sprang ins Wasser.
    Er tauchte lange; so lange, bis seine Lungen zu bersten drohten. Die Welt unter Wasser war friedlich und grünblau, Dieleute waren weit weg. Was hatte Iris gefühlt, damals, unter dem Meer?
    Schließlich kam Lenz hoch und begann, an der Küste entlangzuschwimmen. Das Ruderboot, dachte er, gab es vermutlich schon lange nicht mehr – aber der Ort, zu dem Iris und er früher gerudert waren, wartete auf ihn.
    †   †   †
    »Also du bist die, die die Fenster macht?«, fragte Lena und schaukelte die Kleine auf ihren Knien. »Der Direktor spendet ab und zu für die Kirche … ich wusste nicht, dass du das bist.«
    Siri saß inzwischen zum vierten Mal auf einem der blassgelben Ledersessel in dem Wohnzimmer mit der Glaswand.
    Es war seltsam, denn sie wusste nicht einmal, ob sie Lena mochte oder ob Lena sie mochte, aber seit Aljoschas Tod hatte sie begonnen, Lena zu besuchen.
    Eigentlich fand Siri vor allem das Baby sympathisch. Es hatte vermutlich einen Namen, aber Lena benutzte ihn nie. Manchmal war der Direktor da, der sicher auch irgendeine Art von Namen hatte. Lena nannte ihn nur den Direktor .
    »Mein Mann arbeitet viel«, sagte sie. »Er ist bei einer kleinen Firma … Früher sind wir immer zusammen hergekommen. Er hat mir damals das Segeln beigebracht« Sie lächelte, in Erinnerungen verloren – zuckte dann die Schultern. »Jetzt hat er nie genug Zeit, also komme ich alleine her. Mit der Kleinen. Komisch. Manchmal sehe ich mir die Familie des Professors an, wie sie alle zusammen hier sind. Die haben auch ein Kind, einen Jungen, zwei oder drei … sie sehen so … glücklich aus?«
    Ein Schulternzucken. Lena zuckte oft mit den Schultern, was ihren dunklen Pagenkopf auf adrette Weise auf und ab wippen ließ. Die Kleine zuckte nie mit den Schultern. Das war eine ihrer guten Eigenschaften.
    »Komisch, dass ich dich bisher nie gefragt habe, was du eigentlich hier tust«, sagte Lena.
    »Hm«, sagte Siri.
    Nein, Lena. Es ist nicht komisch. Die meisten Menschen interessieren sich ausschließlich für sich selber. Und die, die sich zu viel für andere interessieren, liegen irgendwann im Wasser, aufgedunsen und unansehnlich. Keine ästhetische Aussicht. Soll ich dir von den Alpträumen erzählen, die ich habe, seit ich Aljoscha gefunden habe? Komisch, dass du mich nie gefragt hast, ob ich Alpträume habe.
    Sie sagte all dies nicht. Sie sagte: »Zwei fehlen mir noch. Zwei Bilder.«
    »Der Direktor hat sie natürlich gekannt. Er und seine Frau; sie haben die Datsche schon lange … vierzig Jahre oder so. Er hat mal davon erzählt, wie die Fenster früher waren, wie war das noch …«
    Siri lehnte sich auf dem blassgelben Sessel vor, und das Baby angelte den Schlüsselbund aus ihrer Tasche. Dass ausgerechnet Lena, die sicher nach der Zerstörung der Fenster geboren war, etwas über die Bilder wusste, war erstaunlich.
    »Da war etwas mit vielen Sternen, ganz vorn, über der Tür … blau mit weißen Sternen. Dann irgendwas mit einer Frau, die wegrannte …«
    »Maria Magdalena.«
    »Richtig. Der Direktor hat erzählt, Jesus hätte sie geliebt … ich kenne mich nicht aus in der Bibel. Dann noch etwas mit Vertreibung … Vertreibung der Händler aus dem Tempel. Und dann irgendwas Gruseliges. Mit einem Toten.«
    »Auferweckung des Lazarus. Habe ich auch schon.«
    Siri seufzte. Das Baby begann, den Schlüssel zu Frau Hartwigs Kellerwohnung zu essen.
    »Hast du das mit dem Boot?«,

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