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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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schließlich leise. »Der Direktor redet gern mit den Fischern. Fährt auch manchmal mit ihnen hinaus, wenn er hier ist an den Wochenenden.«
    Lena nahm dem Baby die Schalfransen weg, womit es nicht einverstanden war.
    »Lass es«, sagte Siri. »Es kann den Schal ruhig essen.«
    Sie sahen eine Weile gemeinsam durch die offene Tür in die Werkstatt hinüber, wo das gläserne Gegenstück zu der Skizze der Sternennacht auf dem Boden glänzte. Es war, als sähe man durch eine Tür aufs Meer hinaus.
    »Du bist dir sicher«, sagte Siri dann, »dass er es nicht war?«
    »Ja.«
    »Das ist …« Siri merkte, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete, vielleicht sogar ein Strahlen, das sie nicht unter Kontrolle hatte. Womöglich sah es ein wenig irre aus. »Das ist gut.«
    »Ich fürchte, ich habe eine romantische Ader«, sagte Lena ernst. »Du magst ihn sehr, oder? Den jungen Fuhrmann?«
    »Lenz.«
    »Seid ihr …?«
    Siri schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist alles nicht so einfach.«
    Lena streifte ihre Sandalen ab, rutschte auf dem Bett bis an die Wand, um sich anzulehnen, und schlug die Füße unter.
    »Erzähl mir von ihm«, bat sie. »Ich höre schrecklich gerne Geschichten über Dinge, die nicht so einfach sind. Ich … wenn man ein Baby hat … die Romantik ist irgendwann dahin. Mein Mann arbeitet zu viel, und ich schlafe zu wenig, außer hier draußen, wenn der Direktor da ist. Der guckt nachts nach der Kleinen … ich meine, nicht dass ich sie nicht lieb hätte, die Kleine ist wunderbar, es ist nur … erzähl. Alles, was romantisch ist, ist wunderbar.«
    »Es ist nicht romantisch«, sagte Siri. »Ich meine … ich kann versuchen, etwas Romantisches für dich zu erfinden.« Sie schlug die Beine ebenfalls unter, streichelte dem Baby über den Kopf und überlegte. »Er rettet Kaninchen«, sagte sie und merkte, dass sie wieder strahlte. »Das ist nicht erfunden, das stimmt. Wenn es eine Welt gäbe, in der es nichts gäbe außer …«
    »Außer Kaninchen?«
    »Ja. Nein. Eine Welt, in der es nichts Wichtiges gäbe außer Kaninchen … eine Welt, in der ich irgendjemand wäre, ohne Geschichte, ohne Hintergrund, und er auch irgendjemand wäre … dann würde ich Lenz Fuhrmann einmal in die Waschmaschine stecken und die alte graue Jacke verbrennen und ihm ein neues Hemd schenken und …«
    »In der Welt mit nur Kaninchen«, sagte Lena, »gäbe es aber keine Geschäfte für Hemden. Und keine Waschmaschinen.«
    Siri nickte. »Ja. Wahrscheinlich ist das auch besser so. Die graue Jacke gehört ja zu ihm. Sie hat die gleiche Farbe wie seine Augen. Die gleiche Farbe wie die Grabsteine. Er hat immer nur in der Vergangenheit gelebt, und noch dazu in der Vergangenheit von anderen Leuten. Ich glaube, es hat für ihn nie eine Zukunft gegeben. Meine Welt, die mit den Kaninchen, sie wäre ganz aus Zukunft. Es gäbe kein Dorf darin, und Lenz hätte keinen Onkel, um den er sich kümmern müsste, und Iris …«
    »Wer ist Iris?«
    »Iris ist niemand. Iris war einmal jemand. In meiner Welt wäre sie verschwunden. Und ich würde mit Lenz durch diese Welt gehen, irgendwohin sehr weit weg von diesem Dorf, und es würde natürlich lächerlich aussehen, weil er ungefähr einen Meter größer ist als ich, aber es wäre egal. Ist das romantisch? Auf romantischen Buchumschlägen sieht man nur schöne und zusammenpassende Menschen.«
    »Ihr wärt sehr schön«, sagte Lena leise. »Zusammen.« Sie klang, als meinte sie es ernst.
    »Mein Mann zum Beispiel und ich … wir wären ganz hervorragend geeignet für so einen Buchumschlag. Das ist der Grund dafür, dass ich hier draußen bin, wenn er in der Stadt ist. Wir … kommen nicht besonders gut miteinander klar. Nicht mehr. Früher war das Schönsein und Zusammenpassen wichtig, aber das ist es nicht mehr. Jetzt wäre es wichtiger, zusammenzu… ich weiß nicht …zugehören. Aber wir haben nichts. Keine gemeinsame Ebene. Es ist mir zu spät aufgefallen.«
    Siri lachte. »Zu spät? Wie alt bist du? Sicher zehn Jahre jünger als ich.«
    »Kann sein. Du hast kein Kind. Es macht einen älter.«
    »Nein«, sagte Siri, »ich habe kein Kind. Und ich werde nie eines haben.«
    »In der anderen Welt … Lenz und du … vielleicht hättet ihr …«
    »Vielleicht«, sagte Siri bitter, »hätten wir ein Kaninchen.«
    Dann schüttelte sie sich, als müsste sie die andere Welt abschütteln, die es selbstverständlich nicht gab. »Lena«, sagte sie, leiser als zuvor. »Ich muss

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