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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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so lange an, bis Siri nervös wurde.
    Dann streckte sie ihre Hand aus, die achtzigjährige Hand, die leise zitterte, und berührte Siris Haar.
    »War es … einmal blond?«, murmelte sie. »Lang und lockig und blond?«
    Siri hätte geantwortet, aber in diesem Moment klopfte es an die Haustür, sehr laut, und sie zuckten beide zusammen, als wären sie bei einer zu intimen Geste ertappt worden. Frau Ammerland zog ihre Hand zurück. Die Schritte, die sie zur Tür trugen, wirkten sehr alt, noch älter als ihre Hand.
    Frau Ammerlands Versuch, in einem ewigen Sommer zu bleiben, musste letztlich misslingen. Der Herbst war längst da und der Winter nicht weit.
    Und dorthin, wo sie dann hingehen würde, dachte Siri, konnte sie Lenz ebenso wenig mitnehmen, wie Siri ihn mit in die Stadt nehmen konnte.
    Sie sah Frau Ammerland die Tür öffnen. Es war Kaminski, der davorstand.
    »Guten Tag«, sagte er und lächelte. »Darf ich hereinkommen?«
    Hinter ihm standen die drei Schatten, die tagsüber keine Schatten waren, sondern Männer in Kaminskis Alter. Einer war der Mann mit dem Tapirhund, aber er hatte den Tapirhund nicht mitgebracht. Die Männer lächelten nicht.
    »Was habt ihr denn vor?«, fragte Frau Ammerland. »Wollt ihr mein Haus durchsuchen?«
    »Ich dachte, wir siezen uns«, sagte Kaminski.
    Frau Ammerland lachte. »Ich kenne dich, seit du geboren bist«, sagte sie, »ich kenne euch alle in Windeln. Und ich werde sicher nicht plötzlich anfangen, dich zu siezen, mein Lieber, weil du glaubst, du wärst jetzt jemand. Was bist du denn? Auf jeden Fall kein Polizist. Aber ich kann dir eins sagen: Er ist nicht hier.«
    »Sie wissen also, wen wir suchen«, sagte Kaminski, verschränkte die Arme und starrte sie einen Moment lang an. Er sah Siri erst jetzt, nickte ihr einen kurzen Gruß zu und starrte weiter. »Schön. Sie lassen uns also nicht herein.«
    »Natürlich ist er hier!«, rief einer der anderen.
    »Wenn er nicht hier ist, lassen Sie uns doch nachsehen!«, rief der neben ihm.
    »Tut mir leid«, sagte Kaminski und trat einen Schritt vor. »Wir haben lange genug darauf gewartet, dass er von selber wieder auftaucht. Wir wollen nur mit ihm reden. Frau Henning wird jetzt endlich begraben. Nächsten Montag. Es ist Zeit, über ein paar Sachen zu reden.«
    Er streckte einen Arm aus und schob Frau Ammerland beiseite, und Siri wollte dem alten Instinkt folgen und die Hände vors Gesicht schlagen wie immer. Nicht hinsehen, Kind sein. Sie tat es nicht.
    Frau Ammerland ließ sich beiseiteschieben, sie achtete darauf, nicht gegen die Kommode zu stolpern, um den Lilienstrauß dort nicht umzustoßen.
    »Tretet eure Schuhe ab«, sagte sie.
    »Unsere Schuhe sind sauber.« Kaminski drehte sich nach ihr um, und war Frau Ammerland jetzt so nahe, dass er direkt von oben auf sie herabsehen konnte. Seine Stimme war leise und nicht freundlich. »Sauberer als Ihr Haus, wenn Sie einen Mörder verstecken. Sauberer als Ihre ganze Vergangenheit. Sie haben ihn ja schon öfters versteckt. Damals …«
    »Entschuldigung«, sagte Frau Ammerland, »aber wenn du schon in mein Haus einbrechen willst: Es gibt das Wort öfters nicht. Etwas geschieht entweder oft oder nicht oft. Sprich anständiges Deutsch mit mir.«
    Kaminski hob die Hand, vergaß das Sie. »Und du!«, brüllte er, »unterbrich mich nicht!« Seine Hand hing einen Moment in der Luft, als wollte er die alte Dame schlagen, aber er tat es nicht. Und Siri dachte: Ich bin feige ich bin feige ich bin feige. »Dieses Deutschland hat andere Probleme als seine Sprache! Dieses Deutschland ist völlig … verkommen. Wir sind hier, um wieder für Recht und Ordnung zu sorgen. Wir sind hier, damit die Mütter kleiner Mädchen wieder ruhig schlafen können, ohne dass ein Perverser am Zaun steht und zu ihnen hereinglotzt. Wir sind hier, damit die Straßen im Dorf wieder sicher sind für ehrliche Bürger.«
    Kaminski winkte den anderen, und sie folgten ihm in den Flur. Aber sie traten sich tatsächlich die Stiefel ab. Siri hörte die schweren Schritte ihrer Stiefel in die Küche gehen. Frau Ammerland blieb ganz still im Flur stehen, und Siri blieb neben ihr stehen. In der Küche wurden Schubladen und Schränke aufgerissen.
    »Lächerlich«, sagte Frau Ammerland. »Als könnte er sich in einem Schrank verstecken.«
    »Was werden sie tun, wenn sie ihn finden?«, flüsterte Siri.
    Die Stiefelschritte waren nun im Wohnzimmer angekommen. Schließlich machten sie auf der Veranda halt. Frau Ammerland nahm eine

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