Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
herausfinden, wer Frau Henning beseitigt hat. Und Aljoscha. Den Fischer, weißt du? Der ertrunken ist. Und …«
    »Hat denn jemand den Fischer beseitigt?«, fragte Lena. »Es ist nicht so ungewöhnlich, dass Leute besoffen ins Wasser fallen und ertrinken.«
    »… und Iris. Iris ist ertrunken, als sie sechs Jahre alt war. Aljoscha wollte mir etwas über die Geschichte sagen, aber er ist nicht mehr dazu gekommen. Ich bin hier in diesem Dorf, um etwas herauszufinden.«
    »Wie?«, fragte Lena verwirrt. »Ich dachte, du bist wegen der Fenster hier.«
    »Ja. Ja, natürlich. Ich muss es … ich muss es wegen der Fenster herausfinden. Die Fenster sind nicht nur Fenster. Es sind … es werden … Seelenbilder des Dorfes. Ich muss verstehen, wie das Dorf tickt. Manchmal habe ich das Gefühl, es tickt wie … eine Zeitbombe. Ich kann die Fenster erst wirklich fertigstellen, wenn ich weiß, was damals mit Iris Weiß passiert ist.«
    »Wir könnten den Direktor fragen, wenn er nächsten Samstag kommt«, sagte Lena. »Er war schon damals hier … Weiß … wenn das ihr Nachname ist … doch, davon hat der Direktor irgendwann mal erzählt. Denen hat die Datsche gehört, die leer steht, oder?« Sie zog das Baby an sich. »Es ist unheimlich dort. Manchmal habe ich Angst, allein mit der Kleinen da draußen. Die andere Familie aus der Stadt ist zu selten da … Ich habe keine Angst vor jemandem, der Leute von den Klippen stößt. Das ist es nicht. Mit den Geschichten aus dem Dorf haben wir nichts zu tun, wir sind, ich weiß nicht, außen vor … ich habe Angst vor etwas anderem. Vor der Melancholie im Garten der alten Datsche. Der Wind geht dort anders durch die Hecken als bei uns. Der Wind hört sich an, als ob er etwas sucht da drüben.«
    »Die Wahrheit«, sagte Siri.
    Sie kämpfte zwei Tage mit den blauen Gläsern. Das Wochenende schien nicht näher rücken zu wollen. Und dann gab Siri auf, sie konnte sich ohnehin nicht konzentrieren, auf gar nichts. Nicht einmal auf die Berichte, die sie dem roten Telefon von ihrem Vorankommen gab.
    Es war Freitag, als sie bei Frau Ammerland klingelte.
    Zu ihrer Überraschung öffnete Frau Ammerland.
    »Kommen Sie herein«, sagte sie. »Ich habe auf Sie gewartet. Beim alten Fuhrmann drüben haben wir uns nie unterhalten.«
    »Nein«, sagte Siri. »Bitte. Wissen Sie, wo er ist? Ich mache mir Sorgen. Er ist jetzt zu lange weg. Und … jemand hat mir gesagt, dass er es nicht gewesen sein kann. Die Sache mit Frau Henning. Jemand … jemand, der nicht genannt werden möchte, hat gesehen, dass da eine andere Person war. Eine Person, die erheblich kleiner war als Lenz.«
    »Ah«, sagte Frau Ammerland. Sie ließ Siri in den Hausflur, doch diesmal führte sie sie nicht in die Küche. »Waren Sie diese Person, Frau Pechten?«
    »Bitte? Nein.«
    »Aber Sie waren da.«
    »Hat er das erzählt? Ja. Ja, ich war da.«
    Auf der Kommode im Flur stand ein Strauß Lilien. Orangerote Lilien, Feuerlilien, die sich nicht nur im Wandspiegel, sondern auch auf ihrer bestickten Strickjacke widerzuspiegeln schienen. Der Flur war kein dunkler Flur wie im Fuhrmannhaus, er war hell und voller Licht. Frau Ammerland fuhr mit dem Finger den hellgrünen Stil einer Lilie entlang.
    »Jetzt ist Sommer …«, sagte sie. »Aber wenn der Sommer vorüber ist, werden Sie gehen, nicht wahr? Haben Sie je darüber nachgedacht, was dann aus Lenz wird? Nehmen wir an, Sie finden ihn. Nehmen wir an, es wird etwas daraus … aus ihm und Ihnen. Was ist, wenn Sie gehen?«
    Siri zuckte die Schultern.
    »Sehen Sie«, sagte Frau Ammerland. »Lenz Fuhrmann ist ein Mensch, Frau Pechten. Er ist kein Ding, das man kaufen und dann zurückgeben kann. Vielleicht sieht man Beziehungen anders, wenn man in der Stadt lebt … oder … wenn man einfach … wenn man viele davon hatte und noch viele haben wird. Bei mir war es nicht so. Ich weiß, wie wertvoll Beziehungen sein können.«
    »Es ist nicht so«, flüsterte Siri, »dass alle Leute, die in der Stadt leben, jede Woche ihren Partner wechseln. Was hat das überhaupt mit der Stadt zu tun? Das ist ein Klischee, genau wie … wie … dass es auf dem Dorf nur Kühe gibt.«
    Siri lachte, es war ein so dummer Vergleich, und auch Frau Ammerland lachte plötzlich. Sie sah in den Spiegel, doch sie sah nicht sich selbst an in ihrer bestickten Strickjacke, sie sah Siri an.
    »Ich kann verstehen, was er in Ihnen sieht«, sagte sie. »Sie sind ja hübsch, wenn Sie lachen.« Sie sah Siris Spiegelbild

Weitere Kostenlose Bücher