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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Boden, jeder Quadratzentimeter neben dem Brennofen war belegt mit sorgfältig geordneten Werkzeugen oder Glasstücken, über die sich die feinen Linien der Schwarzlot-Bemalung zogen. Sie führte Lena hinüber in das Kellerschlafzimmer, dort gab es immerhin das Bett. Siri blieb zwischen auf dem Fußboden ausgebreiteten Skizzenblättern stehen und sah zu, wie Lena sich auf die Bettkante setzte, das Baby aus dem Tragetuch nahm und auf ihren Knien wippen ließ. Lena sah müde aus und nicht glücklich.
    »Ich … ich war eine Weile nicht da«, sagte sie. »Ich konnte nicht … ich wollte weg. Das mit dem Fischer und dann mit dieser Frau bei den Klippen, das war alles zu viel. Ich habe gesehen, wie sie rausgefahren sind, mit einem der Fischerboote … der Direktor ist mitgefahren … ich habe gesehen, wie sie sie an Land gebracht haben. Ich dachte an den anderen, diesen Fischer … und dann wollte ich nichts mehr sehen. Da bin ich zurückgefahren, in die Stadt, zu meinem Mann. Er war aber nicht viel da, er war meistens in der Firma … manchmal habe ich in letzter Zeit das Gefühl, die Kleine und ich würden viel mehr hier draußen wohnen … ich mag es, wenn ich das Meer durch die Fenster sehen kann. Jedenfalls sind wir heute früh wieder hier rausgefahren, und …« Sie hatte die ganze Zeit die Skizzenblätter auf dem Boden angesehen. »Das ist ja wirklich eine richtige Werkstatt, die du da drüben eingerichtet hast.«
    »Hm.«
    »Was ist das dort?«
    »Ein Achtel des ersten Fensters. Da bin ich gerade dabei, drüben … Ich setze sie in Achteln zusammen. Was du dadrauf siehst, sind die Sternenschauer. Es ist die Nacht, in der Maria und Joseph sich mit dem Kind auf den Weg nach Ägypten machen …«
    »Sieht aus wie ein Schneesturm«, sagte Lena.
    Siri nickte. »Ja. Auch. Vielleicht war da ja ein Schneesturm. Als sie … untertauchen mussten. Wer weiß?«
    »Untertauchen …«, wiederholte Lena. Dann hob sie auf einmal den Kopf und sah Siri an.
    »Ich wollte dir etwas sagen. Ich meine, der Totengräber … der junge Fuhrmann … er ist nicht wieder aufgetaucht, oder? Hat der Direktor gesagt.«
    Siri schüttelte den Kopf und drehte den Bleischneider zwischen den Fingern, den sie in der Hand gehalten hatte, als Lena gekommen war.
    »Er war es nicht«, sagte Lena. »Er hat die Frau nicht die Klippen hinuntergestoßen. Ich … ich dachte, dass dich das vielleicht interessiert. Deshalb ist die Polizei nicht wieder aufgetaucht. Weil ich … weil ich es ihnen gesagt habe. Ich habe es gesehen.«
    Siri ließ den Bleischneider fallen, und er fiel mitten in den Schneesturm, zwischen die Sternenschauer, in die Flucht nach Ägypten, mitten in die papieren vorgezeichnete Nacht von Palästina.
    »Was hast du gesehen?«
    »Wie sie gestürzt ist. Ich war da. Es war nebelig, natürlich.«
    Siri stieg über die Nacht und setzte sich neben Lena auf die Bettkante. Das Baby griff nach ihrem Halstuch und begann, an den Fransen zu lutschen. Als wären die Fransen von Siris Halstuch, sein Geruch und Siris Nähe etwas, das es inzwischen gewöhnt war. Sie spürte die Wärme in sich, die das Lächeln des Babys verbreitete.
    »Ich habe der Polizei gesagt, dass sie ganz von alleine gestürzt ist. Sie hat einen Schritt zurückgemacht und dann noch einen, und dann ist sie gestürzt. Aber das ist nicht unbedingt wahr.«
    »Wie?«
    »Da war noch jemand, Siri. Ich war da draußen, ich bin früh spazieren gegangen, weil die Kleine gezahnt hat und geschrien, da hab ich sie umgebunden und bin raus, das lenkt sie ab, im Tuch schläft sie meistens wieder ein … da war jemand im Wald. Jemand hat dafür gesorgt, dass diese Frau … Frau … Hasche? … dass sie rückwärtsgegangen ist. Jemand war ganz nah. Hat mir ihr gesprochen. Hat sie vielleicht bedroht, ich weiß nicht, da war jemand, im Nebel, zwischen den Bäumen, bei dem Steilküstenweg. Aber es war nicht der junge Fuhrmann. Oder jedenfalls glaube ich nicht, dass er es war …« Sie klang einen Moment lang unsicher. »Nein. Er war kleiner. Ich habe das der Polizei nicht gesagt. Dass da noch jemand war. Ich will nicht mit reingezogen werden in diese Sache, ich will nicht, dass der, der das war, weiß, dass ich ihn gesehen habe. Bitte, Siri … sag niemandem, dass ich es dir erzählt habe, ja? Aber ich dachte, ich sollte es dir erzählen. Du … und der junge Fuhrmann …«
    Sie verstummte.
    »Manchmal kommen die Gerüchte vom Dorf zu uns herauf, zur Feriensiedlung«, sagte sie

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