Friedliche Zeiten - Erzählung
wenn sie daran dachte, daß wir allein zu Haus waren und bestimmt die Sicherheitskette nicht vorgelegt hatten oder das Haus anzündeten oder heimlich den Fernseher anstellten, und dann würde der Fernseher sofort anfangen, Grausamkeiten zu senden, die nichts für Kinder sind, oder er würde implodieren. Als wir den Fernseher neu hatten, dachte sie erst, er würde explodieren, sobald sie abends aus dem Haus gingen, aber seit der Vater gesagt hatte, Irene, Fernseher implodieren, wußte sie also, was uns geschehen würde. An diesen Abenden blieben wir wach, bis sie wiederkamen, weil sie in der Nacht ja dann klingeln mußten, damit wir die Kette abmachen und sie in die Wohnung lassen konnten. Meistens hatte der Vater niemanden getroffen zum Witze-Erzählen, oder die Mutter hatte nicht aufgehört, ihm alles von implodierten Fernsehgeräten zu berichten, was sie je gehört hatte, dann kamen sie noch vor Mitternacht nach Hause. Oder er hatte jemanden getroffen, Witze erzählt und dabei etwas zu tief in sein Glas geschaut. Die Mutter schaute vorsichtshalber nie in ihr Glas, wenn sie zusammen weggingen, sondern zählte lieber im stillen die Gläser der anderen, und dann kamen sie mehrere Stunden später, als sie gesagt hatten; die Mutter war furchtbar müde, weil sie den ganzen Abend Gläser gezählt und wegen der Fernsehimplosion Sorgen gehabt hatte und durch jedes Martinshorn wieder von neuem daran erinnert worden war, daß in der Stadt Abend für Abend unzählige Fernseher implodierten. Ich dachte auch, daß es sie wahrscheinlich müde machte, wenn sie den ganzen Abend lang höflich das Gesicht zu einer Art Lachen verziehen mußte, damit die anderen denken, sie hätte den Witz gemocht, obwohl sie in Wirklichkeit gar keine Witze mochte. Der Vater war aber dann fröhlich, und während die Mutter sich bei weit offener Badezimmertür die Zähne putzte, damit sie, auch wenn sie vor Müdigkeit schon halb ohnmächtig war, immerhin hören konnte, was ihr betrunkener Mann mit den Kindern sprach, sagte der Vater einen seiner und unserer Lieblingssätze, den er auch nüchtern konnte, aber wir hörten ihn dreimal so gern, wenn der Vater zuvor ins Glas geschaut hatte, weil er dann von ganz innen aus der Seele kam, sehr langsam und mit tiefer Stimme. Erst sagte er ins Badezimmer hinein, das mußt du nun aber wirklich mal zugeben, Irene. Das war noch nicht unser Lieblingssatz, aber die Vorbereitung dafür. Die Mutter gurgelte etwas mit dem Zahnputzwasser dagegen an, weil es schon sehr spät in der Nacht und sie viel zu müde war, um jetzt noch nach diesem scheußlichen Abend irgend etwas zuzugeben, was sie dann morgen vielleicht bereuen würde und abstreiten müßte, aber der Vater hörte sich ihre Abwehr aus dem Gurgeln einfach weg, weil er fröhlich war, und sagte gutgelaunt und voller Genuß über den gelungenen Abend unseren Lieblingssatz: Das mußt du zugeben, Irene, daß ich, selbst wenn ich blau wie eine Haubitze bin, immer noch besser fahre als du je im Leben stocknüchtern. Und dann wußten wir, zwar ist die Waffenruhe ab morgen jetzt wieder hin, weil natürlich die Mutter, so nüchtern, wie sie geblieben war, hatte nach Hause fahren wollen, und der Vater hatte es nicht gewollt, und sie hatten sich vielleicht ein bißchen darüber gestritten, und während sie sich gestritten hatten, hatte die Mutter dem Vater seine genaue Gläseranzahl gesagt und wegen dieser Zahl eben ans Lenkrad gewollt, aber er hatte vorsichtshalber wieder nicht gewollt, daß sie Auto fährt, und er hatte sicher gesagt, daß er das nicht zulassen würde, weil nach Einbruch der Dunkelheit nichts, kein Volks- und kein Privateigentum und schon gar nicht ihr eigener Mann, vor ihrer Nachtblindheit sicher wären, so etwa stellten wir es uns vor, weil die Mutter es uns manchmal erzählte, und morgen würde sie uns bestimmt wieder sagen: Der Klügere gibt nach. Aber irgendwann würde sie uns die Gläserzahl auch nennen. Wir wußten jetzt schon, sie hatte verloren, und sie waren heil angekommen, und wir waren froh, daß sie wieder zu Hause waren. Wasa lachte noch beim Einschlafen und sagte, was findest du besser, Lügen oder die Wahrheit? Ich fand beides ziemlich gefährlich und wollte mich nicht entscheiden, aber weil Wasa erst eine Weile vor Lachen die Decke über sich gezogen halten mußte, bis sie wieder sprechen konnte, mußte ich auch lachen und die Decke über mich ziehen, und schließlich, sobald sie wieder zu sich kam und sprechen konnte, sagte sie: ich die
Weitere Kostenlose Bücher