Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
zuging. Es war wirklich sehr dünnes Eis, auf dem diese Freundschaften glitten und in die Nietzsche immense Erwartungen setzte. Aber er hatte ja auch viel zu geben. In Basel kamen zwei wichtige neue Freunde hinzu: der junge Franz Overbeck, Professor für Kirchengeschichte, und der 26 Jahre ältere Kunsthistoriker Jacob Burckhardt. Die restlichen «Pfahlbürger» und auch das Gros seiner Kollegen, mit denen er – schlimm genug! – täglich zu Mittag essen musste und unzählige Einladungen zu absolvieren hatte, meinte er sich eigentlich sparen zu können. Es gab unter jenen und in ihren Geselligkeitszirkeln, schrieb er an Sophie Ritschl, nicht einmal geistvolle Gattinnen, die ein Anziehungspunkt solcher Abende sein konnten.
In Basel jedenfalls brannte man vor Neugier auf das Jung-Genie Friedrich Nietzsche, das am 28. Mai 1869 an der Universität beziehungsweise im Vortragssaal des Museums seine mit Spannung erwartete Antrittsvorlesung hielt. Titel: «Homer und die klassische Philologie». Für eine Antrittsvorlesung war dieser Text ziemlich frech, wenn auch dezent und elegant dargeboten mit rhetorischem Können und stilistischem Schliff, Witz und Esprit, weshalb es auf die – in der Schweiz ja immer etwas langsameren – Zuhörer nicht provozierend wirkte. Es gebe derzeit, so der Redner, keine einheitliche und erkennbare öffentliche Meinung über die klassische Philologie. Vielmehr sei sie aus mehreren Wissenschaften gewissermaßen geborgt, wie ein Zaubertrank, der aus fremdartigsten Säften, Metallen und Knochen zusammengebraut sei: Geschichte, Naturwissenschaft, Ästhetik, um nur die vorherrschenden Bestandteile zu nennen. Dieser Krötensaft, dieses Hexenwerk (Nietzsche paraphrasiert und damit zugespitzt) mit seinen künstlerischen sowie auf ästhetischem wie ethischem Boden imperativischen Elementen stehe aber in seinem rein wissenschaftlichen Gebaren zu diesen in bedenklichstem Widerstreit. Wie konnte ein so heterogenes Konstrukt einen derart positivistischen Anspruch vertreten? In ihrer normativen Ästhetik schließlich und in der Absicht, «eine verschüttete ideale Welt heraus zu graben und der Gegenwart den Spiegel des Klassischen und Ewigmustergültigen entgegen zu halten» , entwickelte sie sich zu einer Art von «Scheinmonarchie» , was vor allem dadurch erklärt wird, dass sie ihrem Ursprunge nach und zu allen Zeiten zugleich Pädagogik war. War sie dadurch aber zugleich legitimiert? Das Jung-Genie, das hier mit scharf gewürztem verbalen Geschütz die Bastille einer «Scheinmonarchie» elegant bombadierte, ließ so einige Fragen mit einigem Nachhall im Raum stehen. Und den Schülern, etwa den Musterschülern in Schulpforta, konnte man schließlich alles erzählen. Nun aber, so Nietzsche, habe die Philologie in der Gegenwart nach ihrer schönen und langen Geschichte doch einige Feinde. Die seien zwar ebenfalls heterogen, doch man konnte sie auf zwei Hauptlinien einschränken: Zum einen gab es die Spötter, die sich über die philologischen «Maulwürfe» mokierten: ein Geschlecht, das das Staubschlucken EX PROFESSO betrieb und eine zehnmal aufgeworfene Erdscholle noch ein elftes Mal aufwarf, um sie zu zerwühlen. Diesen offenbar harmlosen Spöttern war die Philologie selbst ein freilich unnützer, aber doch ebenso harmloser und daher unschädlicher Zeitvertreib, der soweit niemandem schade. Dann aber seien da die «Modernen» – und die waren offensichtlich gefährlicher. Angesichts glänzender Fortschritte in Technik und Industrie betrachteten sie – in glücklicher Bewunderung ihrer selbst und der gegenwärtigen Welt – das Hellenentum als überwunden. Solchem Barbarensinn musste man entschlossen begegnen. Man musste aber auch kritisch werden in eigener Sache und gewissermaßen intern. Da waren die Klassiker und ihre Griechenland-Rezeption: Idealisierungen, Projektionen, mitunter Verflachungen; Nietzsche würde darauf in seinem Werk näher eingehen. So wie alles, was kreativ adaptiert wurde, hat diese klassische Griechenland-Rezeption fruchtbare Folgen gehabt und eine neue Produktivität möglich gemacht. Aber sie war keine authentische Wiedergabe – «vielleicht nur die schönste Blüthe germanischer Liebessehnsucht nach dem Süden» , meint Nietzsche. Die akribische philologische Aufarbeitung schließlich, die sich an den realen Körpern erging, verlor in ihrer Detailarbeit das Griechentum selbst aus den Augen, den Geist seiner Werke. Die Zukunftsdevise in eigener Sache musste nun lauten: die
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