Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Naumburg dagegen konnte sich vor Euphorie gar nicht fassen, und Nietzsche bremste sie unverkennbar. Das Ganze war ihm offensichtlich ein wenig peinlich, wenn er sich vorstellte, wie Mutter, Schwester und Tanten in Naumburg herumliefen, um auch dem Letzten zu überbringen, dass ihr Fritz nun Professor sei. Er schrieb: «Es wurde mir förmlich etwas Angst bei dem Enthusiasmus Eurer Briefe; schließlich ist ein Professor mehr auf der Welt, und damit ist doch wahrlich Alles beim Alten geblieben. Ich fürchte, daß man sich in Naumburg ein wenig lustig macht über Eure Freude: und Ihr werdet es nicht übel nehmen, wenn ich dies selbst thue. Worin besteht nun dieses wunderbare Glück, diese entzückende Neuigkeit? Was ist der Kern dieses so verherrlichten Pudels? Schweiß und Mühe: aber um nachzufühlen, bis zu welchem Grade, müßtet ihr selbst in meiner Haut stecken. Aber Ihr habt bloß die Sahne abgeschöpft, und die mag Euch wohl geschmeckt haben. Mir bleibt die Schlackermilch des täglichen eintönigen Berufs, der freundelosen Einsamkeit usw.» Die Begeisterung über seinen bevorstehenden Werdegang hielt sich offensichtlich in Grenzen. Der Prestigezuwachs und das zu erwartende Jahresgehalt von 3000 Franken respektive 800 Talern versetzten den Sohn aus bescheidenen Verhältnissen anderer seits in eine Laune des behaglichen Luxus. Mit der Ankündigung, dass er im März kurz vorbeikommen werde, um einige Sachen in Naumburg zu packen, ließ er die Seinigen wissen: «Inzwischen könnt Ihr mir einen Gefallen thun, nämlich Euch nach einem Bedienten umsehn, den ich mitnehmen werde. Meine Wünsche resp. Bedingungen sind diese: er darf nicht zu jung sein, muß Neigungen zur Reinlichkeit und Ehrlichkeit haben. Es ist gut, wenn er Soldat war. Ich hasse den Naumburger Volksdialekt. Ein beispielloser Grad von Bornirtheit wäre mir unerwünscht. Er kann dabei ein Handwerk treiben, falls es reinlich und wohlriechend ist.» So weit kam es nicht. Professor Nietzsche musste am Ende ohne persönlichen Diener in Basel auskommen.
Friedrich Nietzsche als Kanonier
Anfang August 1868.
Es fiel ihm nicht leicht, sich hier einzuleben, obwohl doch die neue Stadt, die neue Gegend gewiss ihre Vorzüge hatte: die Humanistenstadt, Stadt der Reformation, gelegen am milden Oberrhein und im reizvollen Dreiländereck Deutschland, Schweiz, Frankreich. Aus «Klein-Paris» Leipzig nach Basel gekommen, empfand Nietzsche hier vieles dürftig, geschmacklos, fast kleinstädtisch, eben schweizerisch «republikanisch», doch das mit Fleiß und als Ausdruck einer ihm immer fremd bleibenden Mentalität, die er sich aber nicht näher anschaute. An Ritschl schrieb er: «Über die Basler und ihr aristokratisches Pfahlbürgertum ließe sich viel schreiben. […] – Vom Republikanismus kann einer hier geheilt werden.» Die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die ihm als Professor oblagen und die er bald auch sehr anstrengend fand, konnten ihm nicht seine Freunde ersetzen und den intensiven persönlichen Kontakt mit wenigen Auserwählten, die ihm doch wie die Luft waren zum Atmen. Erwin Rohde hatte er noch im Januar eine hochherzige Freundschaftserklärung gemacht, die aber auch sein schleichendes Einsamkeitsgefühl ausdrückte und die Angst, der dünne Boden solcher sensibler Freundschaft sbeziehungen könne den Ansprüchen seines Innenlebens und den Absonderlichkeiten, die daraus erwuchsen, nicht standhalten. «Wer sich als Einsiedler zu fühlen gewöhnt hat», schrieb er dem Freund, «wer mit kalten Blicken durch alle die gesellschaftlichen und kameradschaftlichen Verbindungen hindurchsieht und die winzigen und zwirnfädigen Bändchen merkt, die Mensch an Menschen knüpfen, Bändchen so fest, daß ein Windhäuchchen sie zerbläst: wer dazu die Einsicht hat, daß nicht die Flamme des Genies ihn zum Einsiedler macht, jene Flamme, aus deren Lichtkreis alles flieht, weil es von ihr beleuchtet so todtentanzmäßig so narrenhaft, spindeldürr und eitel erscheint: nein wer einsam ist vermöge einer Naturmarotte, vermöge einer seltsam gebrauten Mischung von Wünschen Talenten und Willensstrebungen, der weiß, welch ‹ein unbegreiflich hohes Wunder› [Wagner: Tannhäuser, die Verf.] ein Freund ist.» Mit Deussen, der angesichts Nietzsches Basler Berufung einen minimal falschen Ton in einer Briefäußerung angeschlagen hatte, hat er dann sogar hochherzig gebrochen, woraufhin Deussen wieder reuevoll, werbend, sich selbst bis zum Äußersten zurücknehmend, auf ihn
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