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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Appel
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Selbstvernichtung» . Wuchtig, wie ein Zyklop, wie ein Zentaurus, entsprechend taktlos mitunter, lief dieser Kunstmissionar durch sein Leben, wuchtig war seine Musik und seine Sprache (was Nietzsche gefiel; auch er liebte die mythologisch angehauchte Kraftmeierei; auch bei ihm wimmelte es von Zentauren und Zyklopen, wörtlich genannt, der Musik Wagners indessen samt ihrer verführerischen, subtilen Leitmotivtechnik verfiel er am Ende), und diese Wuchtigkeit, so Wagner, zusammen mit Tiefsinn, sei eben deutsch. Französische Modekultur, Journalistik und europäisches Judentum, das das Kulturleben bestimmte, waren die feindlichen Mächte dieses aufstrebenden Deutschtums in kultureller Mission, die natürlich er, Richard Wagner, anführen wollte. Entsprechend lief er umher wie Albrecht Dürer, in altdeutscher Tracht oder dem, was es sein sollte, was aber selbst für Elisabeth Nietzsche, die nur Weihevolles über den Meister niederschrieb, eher an die Werkstattkluft eines holländischen Malers erinnerte. Cosima, von Nietzsche immer noch respektvoll «die Baronin von Bülow» genannt, wenn er seinen Freunden von ihr berichtete, empfand den jungen Hausfreund mit den guten Manieren, der immer korrekten Kleidung, der leisen Stimme und seiner zurückhaltenden Art als «sehr angenehm» . In gehobener Stimmung gab Wagner gelegentlich Einzelheiten aus seinem Sexualleben mit ihr zum Besten. Auch andere Exzentrizitäten musste die Halbfranzösin, Noch-Baronin, die Tochter Franz Liszts, von ihrem Lebensgefährten, seit 1870 nach der Scheidung von Bülow ihr Gatte, ertragen. Da war der gesittete Hausfreund ein schöner Gegenpol, dem sie manchmal auch ihre Sorgen und Nöte mitteilen konnte. Leider hatte der Hausfreund hier auch die undankbare Rolle des immer nur verständnisvollen Vertrauten bei der Frau, die er anbetete, wie sie Männern, die bei Frauen keinen Erfolg haben und insgeheim auf mehr hoffen, häufig zufällt.
    Wagners Kunstwerk der Zukunft stand also im Zeichen einer Erlösung: Erlösung von den Abstraktionen der Wissenschaft und einer kunstfernen Zeit, Erlösung von einer Fehlentwicklung, die die ursprüngliche Einheit der Künste: Tanz, Musik, Dichtung in selbständige Einzelkünste zerteilt hatte, Erlösung von der Willkür der Mode, von den formverspielten Franzosen und den kulturzersetzenden Juden (Wagners Kunst wurde von einigen von ihnen nicht gut behandelt), Erlösung aber vor allem von einer Naturferne, die den unbefriedigten Geist der Moderne im Maschinenzeitalter zu verantworten hat. Ein derart geschlechtsloser, zeugungsunfähiger Geist wie der der Mode und der Moderne müsse wieder auf «die Lebenskraft, das Lebensbedürfnis der tellurischen Natur» zurückgeführt werden, auf den «in Wirklichkeit vorhandene[n] Überfluß, die strotzende Überfülle vorhandener Zeugungskraft und Lebensstoffes, die unerschöpfliche Ergiebigkeit der Materie» . Das klingt, als wollte der Autor da noch sehr viele Siegfriede zeugen und komponieren. Was Nietzsche bei all diesem Schwergeschütz ansprach und was er sicher gesprächsweise mit Wagner weiterentwickelte, war kaum das Erlöstwerden vom Judentum und von der Mode, sondern vermutlich vor allem das Erlöstwerden von sich selbst, wozu die Kunst, namentlich die Musik, aber eigentlich Wagners Gesamtkunstwerk, in einer einzigen großen Apotheose bestimmt wurde. Der schaffende Künstler erlöst im Schaffen sich selbst und damit die Welt. Die «Moderne» – man weiß nicht so recht, wann Wagner, der historisch manchmal recht willkürlich schaltet und waltet, diese ansetzt, etwa ab 1800 und den Debatten der Frühromantik, von der Aufklärung an, von der Frühneuzeit an, oder ob er meint, alles, was nicht «hellenisch» ist, als Musik-, Literatur- und Kulturgeschichte also komplett zu streichen – habe eine ungesunde Individualisierung und Introspektion entwickelt (siehe: Faust, siehe: Hamlet), die nur aus der Vorstellung und in der Einbildung lebte und die wieder zu «Fleisch und Bein» , also zur Volkskunst aus einem Volksgeist, einem gesunden aber wie bei den Hellenen, zurückgeführt werden müsse. «Der wirkliche gesunde Mensch, wie er in seiner vollen leiblichen Gestalt vor uns steht, beschreibt nicht, was er will und wie er liebt, sondern er will und liebt, und teilt uns durch seine künstlerischen Organe die Freude an seinem Wollen und Lieben mit.»
    Im Salon von Wagners Tribschener Haus hing ein Bild, das Nietzsche sehr ansprach. Es war das Aquarell von Bonaventura

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