Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
kulturgeschichtlich ganz sicher nichts Neues. Schopenhauer adaptierte sie aus dem Vêdanta, aus der indischen Philosophie. Er setzte den zyklischen Zeitbegriff der Orientalen immer der christlich-jüdischen Zeitgerade entgegen, einer linearen Entwicklungsvorstellung von der Weltschöpfung über Christi Geburt bis hin zum Jüngsten Gericht, und er betonte immer, das Christentum selbst, sichtbar noch in seinen häretischen Nebenzweigen, sei ein ursprünglich orientalisches Erzeugnis gewesen. In der Antike findet man diese Vorstellung überaus häufig: bei den Stoikern und bei den Vorsokratikern, vor allem bei den Pythagoreern, in deren Kosmologie sich das gesamte Weltgeschehen nach Ablauf eines «Großen Jahres» (dem Erreichen der Anfangskonstellation aller Gestirne) wiederholt, und große Bedeutung hat die «Ring»-Symbolik in diesem Sinne auch in der germanischen Mythologie, die Richard Wagner aufgriff für sein weltanschaulich grundiertes vierteiliges Werk. Tatsache ist, dass eine im Kreise verlaufende Zeit im Gegensatz zu einer linearen Auffassung, die mit einer Ziel- und Entwicklungsvorstellung gekoppelt ist, kein Telos hat, also nichts, worauf irgendetwas hinauslaufen kann. Ist es das, was den Gedanken so abgründig macht? Der philosophische Dichter malt zunächst ein ergreifendes Stimmungsbild, das den Gedanken in eine bildhafte Vorstellung fasst. Und dass der Zwerg es zu hören bekommt, eine Metamorphose des «Geistes der Schwere», der ja nicht nur für den Ballast überkommener Werte steht, sondern mit diesem auch für den giftigen Keim der Schwermut und Lebensverneinung, Schopenhauer’schen Pessimismus, der sich aus der Willensgetriebenheit herleitet und den Nietzsche umdeuten will, bekräftigt den Überwindungscharakter, der dem Gedanken von Anfang an inhärent ist. Allein mit dem Kreissymbol, sagt Zarathustra zürnend zu seinem ungebetenen Mitwanderer, sei nichts erklärt. Da mache es sich der Zwerg sichtlich zu leicht. «‹Siehe›, sprach ich weiter, ‹diesen Augenblick! Von diesem Torwege Augenblick läuft eine lange ewige Gasse rückwärts; hinter uns liegt eine Ewigkeit. Muß nicht, was laufen kann von allen Dingen, schon einmal diese Gasse gelaufen sein? Muß nicht, was geschehn kann von allen Dingen, schon einmal geschehn, getan, vorübergelaufen sein? Und wenn alles schon dagewesen ist: was hältst du Zwerg von diesem Augenblick? Muß auch dieser Torweg nicht schon – dagewesen sein? Und sind nicht solchermaßen fest alle Dinge verknotet, daß dieser Augenblickalle kommenden Dinge nach sich zieht? Also – – sich selber noch? Denn, was laufen kann von allen Dingen: auch in dieser langen Gasse hinaus – muß es einmal noch laufen!›» Der Philosoph sinniert weiter in der Erinnerung seines Selbstzitats: «‹Und diese langsame Spinne, die im Mondschein kriecht, und dieser Mondschein selber, und ich und du im Torwege, zusammen flüstern, von ewigen Dingen flüsternd – müssen wir nicht alle schon dagewesen sein? – und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor uns, in dieser langen schaurigen Gasse – müssen wir nicht ewig wiederkommen?› – Also redete ich, und immer leiser: denn ich fürchtete mich vor meinen eignen Gedanken und Hintergedanken.» Auch Nietzsche, so haben es Zeitgenossen und letzte Wegbegleiter bezeugt, kam immer ins Flüstern, wenn er vor Eingeweihten und Freunden den geheimnisvollen Gedanken ausführte. Warum ist der Gedanke so abgründig? Alles, was wiederkommt, ist zugleich alles, was jemals gelebt wurde. Das bedeutet, strenggenommen, keine Initiation, keine Erst- und Einmaligkeit. Auch das schöpferische Individuum bewegt sich lediglich im schon einmal Dagewesenen. Die Monotonie eines Ablaufs, die nur noch verneint werden kann, schließt der Prophet aber in seiner Auffassung aus. Das «größte Schwergewicht» , das der Gedanke besitzt, liegt in den Leiderfahrungen, die ein noch größeres Gewicht haben, wenn man sie in der Vorstellung multipliziert. Was, wenn sie wiederkehren, auch sie? Ist das Bewusstsein des Einzelnen in Momenten des Leidens dann nicht noch größer, und ist es aber nicht auch der Überwindungswille, der Lebenswille, der stärker ist als das Leid? Nietzsche, das heißt Zarathustra, wird den Kreislaufgedanken derart ins Extrem führen, dass auch die Schopenhauer’sche Verneinung darin keine Chance mehr hat. Der schaffende Wille bringt alles hervor, und er wird auch die ewige Wiederkehr positiv aufladen.
Nietzsche hatte
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