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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Appel
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erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.
    Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe.
    Licht bin ich: ach, daß ich Nacht wäre! Aber dies ist meine Einsamkeit, daß ich von Licht umgürtet bin.
    Ach, daß ich dunkel wäre und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten des Lichts saugen!
    Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und Leuchtwürmer droben! – und selig sein ob eurer Licht-Geschenke.
    Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich zurück, die aus mir brechen.
    Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht; und oft träumte mir davon, daß Stehlen noch seliger sein müsse als Nehmen.
    Das ist meine Armut, daß meine Hand niemals ausruht vom Schenken; das ist mein Neid, daß ich wartende Augen sehe und die erhellten Nächte der Sehnsucht.
    O Unseligkeit aller Schenkenden! O Verfinsterung meiner Sonne! O Begierde nach Begehren! O Heißhunger in der Sättigung!
    Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist zwischen Geben und Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu überbrücken.
    […]
    Nacht ist es: ach, daß ich Licht sein muß! Und Durst nach Nächtigem! Und Einsamkeit!
    Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen – nach Rede verlangt mich.
    Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.
    Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden. –
    Also sprach Zarathustra.
    Eine unsterbliche Klage, so Nietzsche-Dionysos 1888, durch die Überfülle von Licht und Macht, durch seine Sonnennatur, verurteilt zu sein, nicht zu lieben. «Dergleichen ist nie gedichtet, nie gefühlt, nie gelitten worden: so leidet ein Gott, ein Dionysos. Die Antwort auf einen solchen Dithyrambus der Sonnen-Vereinsamung im Licht wäre ARIADNE … Wer weiß außer mir, was Ariadne ist …» Der Dichter wird es uns noch mitteilen.
    Im dritten Teil findet der «Wanderer» sich damit ab, erst auf die Zukunft hin wirken zu können und alleine auf seinen letzten Gipfel zu steigen. «Ich erkenne mein Los, sagte er endlich mit Trauer. Wohlan! Ich bin bereit. Eben begann meine letzte Einsamkeit.» Es ist ein grässlicher letzter Gedanke, dem er sich stellen muss und der ihn wohl schon eine Zeitlang befiel, ohne dass er bisher den Mut hatte, ihn zu Ende zu denken. Ein Fabelwesen, halb Zwerg, halb Maulwurf (dem Figurenfundus der Wagner’schen Opern entsprungen?), abstoßend und unangenehm in seiner körperlichen Aufdringlichkeit, hängt er sich doch, quasi als Marschgepäck und mit Bleigewicht, auf den bergan steigenden Wanderer, «lahm; lähmend; Blei durch mein Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn träufelnd» , ist sein ungewollter Begleiter. Eine Metamorphose des Geistes der Schwere hat sich hier offensichtlich Zarathustras bemächtigt. Ihn abzuschütteln, gelingt ihm nicht ohne weiteres, und also muss er wohl mit ihm ringen, ob er will oder nicht. Da fällt ihm sein unaussprechlich schwerer Gedanke ein, der so abgründig ist, dass ihn der Geist der Schwere, sein Todfeind, in Gestalt dieses Zwerges, nicht tragen könnte – und so will er ihn denn überwinden, ihn und den Todfeind, so scheint es, gleich mit. «‹Siehe diesen Torweg! Zwerg!›, sprach ich weiter: ‹der hat zwei Gesichter. Zwei Wege kommen hier zusammen: die ging noch niemand zu Ende. Diese lange Gasse zurück: die währt eine Ewigkeit. Und jene lange Gasse hinaus – das ist eine andre Ewigkeit. Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stoßen sich gerade vor den Kopf – und hier, an diesem Torwege, ist es, wo sie zusammenkommen. Der Name des Torwegs steht oben geschrieben: ‹Augenblick.›» Ausgerechnet der Zwerg spricht dann das Wort aus vom Kreislauf der Zeit – sieht er, der Schwermutszwerg, darin doch die Monotonie einer ewigen Leier, die nur verneint werden kann. Wer einen der Wege immer weiterginge, so Zarathustra, immer weiter und immer ferner – würden sich die Wege wohl ewig widersprechen? «Alles Gerade lügt, murmelte verächtlich der Zwerg. Alle Wahrheit ist krumm, die Zeit selber ist ein Kreis.» Zarathustra will die «zwergische» Fassung des großen Gedankens nicht akzeptieren und überwindet ihn, wie er den Zwerg überwindet. Fortsetzung folgt.
    Die Vorstellung eines zyklischen Zeitablaufs ist

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