Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Kräfte erleidet keinen Stillstand» , lesen wir in Nietzsches Aufzeichnungen, «denn sonst wäre er erreicht worden, und die Uhr des Daseins stünde still. Die Welt der Kräfte kommt also nie in ein Gleichgewicht, sie hat nie einen Augenblick der Ruhe, ihre Kraft und ihre Bewegung sind gleich groß fürje de Zeit. Welchen Zustand diese Welt auch nur erreichen kann, sie muß ihn erreicht haben, und nicht einmal, sondern unzählige Male. So diesen Augenblick; er war schon einmal da und viele Male und wird ebenso wiederkehren, alle Kräfte genau so vertheilt, wie jetzt.» Dass jemand aus den naturwissenschaftlichen Reihen sich dann doch wieder als nur schlecht verhüllter Theologe entpuppte, etwa Otto Caspari, der dem Kosmos eine Teleologie verlieh, die den Wärmetod schon zu verhindern wisse, ergriff Nietzsche mit einigem Unmut, so dass er einstweilen darauf verzichtete, die Naturwissenschaftler intensiv zu studieren. Und so blieb der Gedanke seinem Empfinden nach immer noch unzureichend fundiert und bewiesen, stand dafür aber umso mächtiger, unmittelbar überzeugend und existentiell hochbedeutsam im Raum.
Manchmal, da wehrte sich freilich auch dies und jenes in ihm gegen den Gedanken der ewigen Wiederkehr. Sollte er nicht etwa auch jedes Künstler- und Denkertum obsolet machen, also das «Schaffen», dem er im «Zarathustra» einen so hohen Wert verleiht? Das Selbstverständnis jedes einzelnen Menschen, besonders aber des begnadeten Individuums, musste sich einfach dagegen sperren. Trotzig notierte Nietzsche im Monat der «Offenbarung» (also August 1881): «Im Grunde weiss jeder Mensch recht wohl, dass er nur einmal, als ein Unicum, auf der Welt ist und dass kein noch so seltsamer Zufall zum zweiten Mal ein so wunderlich buntes Mancherlei zum Einerlei, wie er es ist, zusammenschütteln wird.» Doch nun wieder zum Zwerg und zu Zarathustra im Torwege. Zwerg, Torweg und Spinne und heiliges Flüstern von großen Gedanken sind plötzlich verschwunden, als Zarathustra sich in einem sonderbaren Zwischenzustand von Wachen und Träumen allein zwischen wilden Klippen, «im ödesten Mondscheine» findet. Ein unheimlich heulender Hund führt ihn zu einem jungen Hirten, dem im Schlaf eine giftige schwarze Schlange in den Schlund gekrochen ist, und die hat sich festgebissen, so dass der Zeuge dieser abscheulichen Szene das Untier auch nicht herausziehen kann. Der Hirte windet sich, würgt und zuckt, und Zarathustra kann ihm nur zurufen, er solle der Schlange den Kopf abbeißen – was der Hirte dann tut. Ein Verwandelter ist er nachher und ein Umleuchteter. Niemals, so Zarathustra, habe er seither wieder einen Menschen so lachen gehört. Die Geschichte verweist Zarathustra selbst zu seiner letzten Verwandlung. Er würde, so weiß er nun, seine Gefährten nicht finden, die von ihm so ersehnten Mitschaffenden und Mitfeiernden, und so muss er sich selbst segnen und den schwersten Gedanken ertragen, zum Fürsprecher des Lebens, und das heißt auch des Leidens werden. Mit dem Ja-Sagen zum Kreise bejaht er das Leben, die ewige Wiederkunft. Er nimmt das Dasein an, wie es ist: ohne Sinn, ohne Ziel, sich im Kreise drehend; jeder erlebte Moment ist ein Stück Ewigkeit, eine Kostbarkeit. Doch erst die Tatsache, dass die zur Verewigung drängende Lust, die sich selber will, stärker ist als das Weh, verleiht dem Ja-Sagen seinen vitalen Impuls. «Drücken wir das Abbild der Ewigkeit auf unser Leben!» , so Nietzsche im Handschriftennachlass. «Dieser Gedanke enthält mehr als alle Religionen, welche dies Leben als ein flüchtiges verachten und nach einem unbestimmten anderen Leben hinblicken lehrten.» Ja-Sagen zur Ewigkeit, zum «großen Mittag». «Weh spricht: Vergeh!, doch alle Lust will Ewigkeit.» Die Bejahung der Wiederkunft und damit zugleich die Bejahung des Lebens ist stärker, als es das Leiden je sein kann. Auch der Schatten des Wanderers hat hier keine Chance mehr, denn das Lebensprinzip ist so stark, dass es den skrupelhaften Schatten verdrängt. «Glühend und stark wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt» , verlässt Zarathustra zum Schluss seine Höhle. Er hat sich mit den «höheren Menschen» befasst, die den Gottesverlust bereits realisiert haben und neue Wege suchen zur Entfaltung ihrer schöpferischen Freigeistigkeit. Viele ihrer Umwertungsversuche bleiben aber den alten Systemen verhaftet, darauf ausgerichtet, eine sonst unerträgliche Leere neu auszufüllen. Zarathustra weiß, dass auch er nur ein
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