Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
aller Dinge begriffen. Aber nicht alle seine Leser haben auch Heraklit gelesen, bei dem der Kampf aller Gegensätze schließlich im Weltgesetz, im unveränderlichen Logos aufgehoben wird, und außerdem wird man den Eindruck nicht los, dass der Autor das wörtlich meint, und durchaus im militaristischen Sinn seiner Zeit. Im Kriege erfülle sich quasi das Dasein, und Friedenszeiten dienten sinnigerweise nur der Vorbereitung auf neue Kriege. «Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung des Kriegers: alles andre ist Torheit.» Denn schließlich: «Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und Spiel. Deshalb will er das Weib als das gefährlichste Spielzeug.» Der «echte Mann» sieht die Aufgabe des «Weibes» folglich mehr oder weniger darin beschränkt, für eine Höherzucht des Menschen zu sorgen und, als Fernziel, dereinst Gebärerin des Übermenschen zu sein. «Der Strahl eines Sternes» , heißt es, «glänze in eurer Liebe! Eure Hoffnung heiße: ‹Möge ich den Übermenschen gebären!›» Und: «In eurer Liebe sei eure Ehre! Wenig versteht sich sonst das Weib auf Ehre. Aber dies sei eure Ehre, immer mehr zu lieben, als ihr geliebt werdet, und nie die Zweiten zu sein. Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es liebt: da bringt es jedes Opfer, und jedes andre Ding gilt ihm ohne Wert. Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es haßt: denn der Mann ist im Grunde der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht. Wen haßt das Weib am meisten? – Also sprach das Eisen zum Magneten. ‹Ich hasse dich am meisten, weil du anziehst, aber nicht stark genug bist, an dich zu ziehen.› Das Glück des Mannes heißt: ich will. Das Glück des Weibes heißt: er will. ‹Siehe, eben jetzt ward die Welt vollkommen!› – also denkt ein jedes Weib, wenn es aus ganzer Liebe gehorcht. Und gehorchen muß das Weib und eine Tiefe finden zu seiner Oberfläche. Oberfläche ist des Weibes Gemüt, eine bewegliche, stürmische Haut auf einem seichten Gewässer. Des Mannes Gemüt aber ist tief, sein Strom rauscht in unterirdischen Höhlen: das Weib ahnt seine Kraft, aber begreift sie nicht.» Von einem solchen Geist, der zudem zahlreiche Geistesfreundschaften mit hochproduktiven und persönlichkeitsstarken Frauen gepflegt hat, so dummes Zeug zu lesen, ist eigentlich nur mit Ressentiment zu erklären, das Nietzsche selbst ja als größten Stachel geistiger und seelischer Unfreiheit und als zerstörerischstes christliches Erbe bezeichnete. Das Ressentiment umfasst bei ihm auch das ganze verherrlichte «Leben», den dionysischen Rausch mit allen Körperfreuden wie auch den Lebemann-Künstler, der aus der Fülle lebt. Er ist als Denker dadurch nicht weniger groß, aber doch auch allzumenschlich, und er verifiziert gleichsam im Experiment seine eigene Philosophie. Der berühmte Satz mit der Peitsche übrigens, der so gerne zitiert wird, wird nicht von Zarathustra geäußert, sondern von einem «alten Weiblein» , das ja nun alles hinter sich hat und Zarathustra schon am Anfang entwaffnend bekennt, sie sei so alt, dass sie alles, was sie höre, gleich wieder vergesse – die «kleine Wahrheit» , die sie ihm gibt (ein kleiner Racheakt an ihrem Geschlecht?), möge man also eventuell nicht so ganz ernst nehmen. Da in dem Text auch zahlreiche weiblich personifizierte Angstbilder auftauchen, scheint es nicht ganz verfehlt, die Peitsche am Ende auch in weiblichen Händen zu sehen, Machtsymbol gegenüber dem ihr sinnlich verfallenen Mann – wie Lou auf der berühmten Photographie mit Nietzsche und Rée, die vor ihren Karren gespannt sind. Die FEMME FATALE hatte in Nietzsches Zeit Hochkonjunktur, und Nietzsche übernimmt – vielleicht unbewusst – eine Reihe von Bildern. Da ist die Raubkatze und die «furchtbare Herrin». «Ist es nicht besser» , meint Zarathustra, «in die Hände eines Mörders zu geraten, als in die Träume eines brünstigen Weibes?» Die Männer mordende und die verschlingende Frau – das sind Männerängste im Industriezeitalter, in der Dämmerung der Psychoanalyse und des aufziehenden Feminismus. Es wäre sonderbar, wenn ausgerechnet der sensible Nietzsche, der mit Frauenliebe kein Glück hatte und von Frauenerziehung eher gehemmt worden war als gesegnet, sich davon nicht berührt fühlte. Und war er nicht auch geradezu hingerissen von Bizets «Carmen», basierend auf der Novelle von Mérimée, deren Musik er vielleicht über die Faszination an der Geschichte und dieser Frauenfigur gnadenlos
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