Friesenherz
katzenartigen Schlitzen verengt.
»Welches Bild jetzt?«, fragte sie leise.
»Da hängt so eins«, erklärte ich. »Soll anscheinend gut zu unserer Woche hier passen. So eine nackte Frau mit grünem Schamhaar, Mond im Hintergrund … Na, eben diese frauenbewegte Menstruationskunst. Sieht ein bisschen aus wie aus einem Wochenendseminar für …«
Weiter kam ich nicht. Lisi Schleibinger griff über den Tisch hinweg nach meinem Arm und funkelte mich alarmiert an.
»Ach, Kinder«, sagte sie betont munter, »jetzt, wo du’s sagst, wir haben ja auch noch ein ganz besonderes Highlight heute Abend. Weil, die liebe Ann ist ja auch Künstlerin, und wer mag, kann nach her noch im Foyer an einer kleinen Führung durch ihre Hausaus stellung teilnehmen. Nach ihrer Performance in der Pesel-Bar. Wir haben ihre Bilder ja in den Gästezimmern aufg’hängt, und ich find, das hat einen ganz besonderen … Effekt.«
O Gott. Ein Fettnapf, tief wie die Nordsee bei Sturmflut. Was sage ich: wie der Marianengraben.
»Ich meine natürlich … also, Kunst ist ja eine sehr persönliche Angelegenheit …«, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen.
Ann zwirbelte ihren Nasenring. »Gib dir keine Mühe«, sagte sie schließlich kühl. »Dann penn ich halt bei einem Freund. In Lübeck. Und komm nur tagsüber auf die Insel.«
»Nein, das hast du jetzt völlig falsch … im Gegenteil«, ich verhaspelte mich, »ich würde mich freuen, wenn du das Bett nimmst. Ist ja nur …«
»… für drei Tage. Ich hab das schon gehört.«
»Ach, da fällt mir ein Stein vom Herzen!«, rief Lisi Schleibinger enthusiastisch und griff sich an die imposante Brust. »Ihr werdet sehen, ihr zwei Mädels werdet euch super verstehen.«
»Das war ja … also, mal was anderes«, sagte Geli und lächelte angestrengt, als sie ihre Suppenschüssel von sich schob. »Hat inter essant geschmeckt. Was gibt es denn Schönes als Hauptgang?«
Lisi Schleibinger lachte nervös auf. »Wisst’s, diese sanfte Form vom ayurvedischen Fasten, die fängt immer mit dem Entschlackungs tag an, mit der Mungbohnensuppe. Ihr werdet’s staunen, was diese Ernährung mit euch macht, in den paar Tagen!«
Die Kellnerin war mit einer Flasche neben mich getreten und sah mitfühlend auf mich herab, jedenfalls kam es mir so vor.
»Möchten Sie jetzt vielleicht etwas Wein?«, fragte sie.
Weil ich mich so sehr darauf konzentriert hatte, meinen Fauxpas mit Ann wieder auszubügeln, hatte ich nicht bemerkt, dass mit der Kellnerin noch jemand an den Tisch gekommen war. Ich spürte eine Bewegung hinter mir und drehte mich um.
Augenblicklich nahm ich alles zurück, was ich über Boldsum als flirtfreie Zone gesagt hatte.
Der Blonde in der Wachsjacke, der da gerade eine Hand auf Lisi Schleibingers Schulter legte und ihr vertraulich etwas ins Ohr raunte, war vielleicht Mitte zwanzig. Er hatte den Körper eines Mannes, aber das Gesicht eines Jungen, mit blitzenden Augen, ungefähr in der Farbe des Meeres vor dem Boldsumer Haupt strand an einem sonnigen Augusttag. Ich sah seinem Mund beim Reden zu, einem Mund mit einer unverschämt sinnlichen Unter lippe, und grinste in mich hinein. Ich verstand vielleicht nicht mehr viel von Männern, war aus der Übung, aber diese Sorte kannte ich. Der Typ Mann, der Frauen alles erzählen konnte, weil man einem solchen Mund einfach alles glaubte.
Ich dachte an Ronja und ihren Maschinenbaustudenten. Der sah zwar nicht ganz so gut aus wie dieser hier, aber auch er hatte einen solchen Zug um den Mund. Gern hätte ich Ronja bei Gelegenheit mal ein paar Wahrheiten über Männer erzählt, und woran man die Guten erkannte. Aber ich wusste im Voraus, dass es nichts nützen würde. Manche Erfahrungen musste wohl jede für sich selbst machen. Irgendwann, das ahnte ich, würde sie sich genauso die Finger verbrennen wie ich.
Beinahe zwanzig Jahre war das nun schon her, aber wenn ich an damals dachte, dann zog sich in mir noch immer alles zusammen. Der alte Schmerz, die alte Scham, wie sehr ich mich entblößt hatte vor einem Kerl, den alle wollten und der keinen Grund hatte, ausgerechnet mich auszuwählen. Einem, der genau die gleiche Unterlippe gehabt hatte wie dieser Blonde an unserem Tisch.
Jetzt richtete er sich gerade auf und ließ dabei eine Hand auf Lisi Schleibingers Schulter liegen, einen Augenblick zu lang für meinen Geschmack. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, ob die beiden wohl etwas miteinander hatten. Dann schämte ich mich für meine überreizte
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