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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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»genau, hier: ›Young girls, wet dreams‹ … Da steht, die machen Mangas für Erwachsene, und eine eigene Plattform haben die auch, so was wie Facebook …«
    Vor meinem geistigen Auge lief ein schrecklicher Film in Schwarz- Weiß ab. Meine Tochter als Comicfigur, mit kurzem Rock und grotesk vergrößerten Augen, auf der Flucht vor einem Tentakelmonster, das ihr an die Wäsche will. Irgendwann vor langer, langer Zeit hatte ich einen solchen Trickfilm mal gesehen, in einem damals sehr angesagten Club im Hamburger Schanzenviertel, in den mich ein paar Leute aus dem Fotosynthese-Seminar mitgenommen hatten.
    Young Girls, wet dreams. Den Teufel würde ich …
    »Den Teufel werde ich tun!«, schrie ich und hörte meine Stimme kippen, »du wirst nicht das nächste Covergirl für so einen japanischen Schulmädchen-Report! Das ist doch …«
    »Hey, Mama, chill mal. Die Sophie aus der 9b, also die kommt auch mit zu dem Treffen, und die hat gesagt, das ist cool, also irgendwie … na, voll porno.«
    »Eben! Du sagst es doch selbst! Ich lass dich doch nicht für eine Pornozeitschrift ablichten!«
    »Quatsch, das verstehst du nicht, oder? Porno ist cool. Ich meine, so, wie die Sophie das gemeint hat. Also, die hat damit gemeint: cool.«
    »Porno.«
    »Eben. Porno. Außerdem ist das keine Zeitschrift.«
    »Sondern?«
    »Du, die machen das alles bloß online. Für Blogs und so.«
    Mir wurde noch schwindliger. Da hatten Torge und ich letztes Jahr extra dieses Seminar belegt, »Jugendliche in sozialen Netz werken«, und hatten Ronja dann geholfen, ihr Facebook-Profil einzurichten, sodass keine sensiblen Daten darin standen. Und jetzt sollten irgendwelche Schulmädchen-Sexfotos von ihr unkontrolliert im World Wide Web kursieren?
    Ich wusste genau, dass ein ernstes Wort im Moment nichts nützen würde. Stattdessen griff ich nach dem letzten Strohhalm.
    »Und was sagt Sven dazu?«, fragte ich. »Das kann der doch nicht gut finden, wenn seine Freundin halb nackt für irgendwelche Foto grafen posiert.«
    »Du«, sagte Ronja abgeklärt, »für den ist das voll okay. Der meint, ich soll da ganz meinem Bauchgefühl folgen. Wenn’s ästhetisch ist.«
    »Was, das Bauchgefühl?«
    »Nee. Die Fotos.«
    Ich gab auf. Das hier ließ sich nicht am Telefon lösen. Es war, als täte sich plötzlich ein Abgrund auf zwischen meiner Tochter und mir, ein Abgrund, der vielleicht schon lange da gewesen war, aber vorher notdürftig mit Alltagskrempel zugedeckt worden war. Dieses völlig andere Verständnis von Privatsphäre! Dieses Frauenbild! Ich fühlte mich machtlos. Und sehr, sehr alt.
    »Sag deinem Vater, er soll mich anrufen, wenn er vom Joggen zurück ist. Ich lass das Handy an«, sagte ich matt.
    »Och Mama …«
    »Damit, dass du mich dauernd Mama nennst, machst du es auch nicht besser.«
    »Du bist … du bist einfach übelst spießig.«
    Ich wollte noch etwas erwidern, aber Ronja hatte schon aufgelegt. Verwirrt lauschte ich dem kosmischen Rauschen, das sie hinterließ, und steckte das Telefon wieder ein.
    Und dann fasste ich einen Entschluss.
    Ich würde auf der Stelle zurückgehen ins Hotel, packen und abreisen. Und damit gleich mehrere Probleme auf einen Schlag lösen, sogar das Zimmerproblem dieser rastalockigen, multitalentierten Künstlerin. Wenn ich mich beeilte, konnte ich noch die Fähre um neun Uhr erwischen, sonst fuhr eine halbe Stunde später die letzte. Meine Tochter brauchte mich, das war ganz klar.
    Auch wenn sie die Angelegenheit vermutlich anders sah.

7
    Als ich zurückkam, hatte die Erste Boldsumer Performance-Nacht offensichtlich ohne mich begonnen. Ich konnte Ann schon hören, als ich das Foyer betrat. Ihre Stimme drang elektronisch verstärkt über einen Lautsprecher, sodass jeder Hotelgast ihr zuhören musste, ob er nun mit Kultur gebucht hatte oder ohne. Das nannte ich mal ein richtig gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Nur ihre Worte konnte ich nicht verstehen. Sie schrie und flüsterte abwechselnd, es hörte sich nicht nach einem Gedicht an, eher nach einem heftigen Streit mit einem Liebhaber.
    Ich strich mir eine feuchte Strähne aus dem Gesicht und schlüpfte aus der nassen Windjacke. Draußen hatte der Wind zu heulen begonnen. Kein Reisewetter eigentlich, eher die Art von Wetter, bei dem man sich mit einer dickbauchigen Teetasse vor dem Kamin aufwärmen möchte. Aber was tat man nicht alles für seine Kinder.
    Das blonde Mädchen hinter dem Empfangstresen sortierte einen Stapel Papier und hatte den Mund

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