Friesenherz
Suppe. Die Löffel klirrten im Gleichtakt gegen das Porzellan.
»Bietet ihr hier eigentlich auch richtige Panchakarma-Kuren an?«, erkundigte sich Bärbel.
»Fest eingeplant!«, rief Lisi enthusiastisch. »Ab nächster Saison.«
»Was genau ist eine Panchakarma-Kur?«, erkundigte ich mich ängstlich. Noch mehr Überraschungen konnte ich heute jedenfalls nicht mehr vertragen.
»Also, das ist ein ganz intensiver körperlich-seelisch-geistiger Prozess«, belehrte mich Bärbel. »Es beginnt mit einer intensiven Ausleitung. Dafür wird am ersten Abend ein Abführmittel …«
»Wenn wir scho alle so nett beieinandersitzen«, fiel Lisi Schleibinger ihr ins Wort und musterte etwas unbehaglich die Tischdecke, »es gäb da noch … also, wir hätten da a klitzekleines Problem. Oder mehr so a Problemchen.« Sie malte mit Zeige- und Mittelfinger der rechten und linken Hand Gänsefüßchen in die Luft. »Also, wir hatten da kürzlich diese Softwareumstellung, ich kann euch sagen, des is a Kreuz …«
Jetzt war es Hans-Gerd Schatz, der wissend nickte.
»Jedenfalls, da gab’s seither ein Problem mit dem System, und dann hat der Computer gesponnen … Jedenfalls, jetzt, für die nächsten drei Nächte, sind wir vollgebucht. Und irgendwie … das System … Also, es war kein Einzelzimmer mehr frei für unsere liebe Ann.«
»Vollgebucht?«, fragte ich.
Sämtliche Augen richteten sich auf mich, und es war mir etwas peinlich. Dabei hatte ich mit Sicherheit nur ausgesprochen, was alle dachten. Dieses Hotel war alles Mögliche, aber garantiert nicht bis auf den letzten Platz belegt. Auch wenn unsere bayerische Gast geberin es sich sicherlich anders gewünscht hätte.
»Im Moment noch net.« Lisi Schleibinger winkte energisch ab. »Naaa! Aber heut Abend später kommt no a Reisebus aus Kiel, a ganz a liebe Seniorengruppe von ›Aktiv alt werden‹, und dann sammer voll!«
Alle am Tisch nickten. Sie nickten mitfühlend, sie nickten erleichtert.
Und langsam ahnte ich, was jetzt kam.
Auf einmal konnte ich mir wieder vorstellen, wie es sich anfüh len mochte, Single zu sein. Es war kein schönes Gefühl. Hans-Gerd legte seine Hand auf Gelis, die Tanztherapeuten rückten ein wenig näher zusammen, eine Art Ausdruckstanz im Sitzen, der sofort deutlich machte: Zwischen uns passt kein Blatt Papier, geschweige denn die Dame vom Kulturprogramm. Der Tourismusmann im viel zu warmen Jackett starrte auf seine Matschbohnen, als könnte er aus ihrer Anordnung die Marketingstrategie für das nächste Jahrtausend ablesen und die Lösung für seinen Kasus knaxus, was auch immer der gewesen sein mochte. Ann knibbelte noch immer auf ihrem Smartphone herum.
Dafür sah mich Lisi Schleibinger an. Mit schief gelegtem Kopf und hochgezogenen Augenbrauen, die, wie ich sofort feststellte, eher fein und unregelmäßig waren.
Die glaubten doch nicht allen Ernstes …
»Na, aber hier …« Hans-Gerd Schatz zeigte tatsächlich mit dem Finger auf mich. »Die Wiebke …«
Ja. Sie glaubten allen Ernstes.
»Sie heißt Maike, min Seutn«, kommentierte seine Frau und streichelte ihm liebevoll den kunststoffbespannten Oberarm.
»Und könnten Sie … ich meine, würdest du … es wäre ja nur für zwei, drei Nächte«, säuselte Geli.
»Also, ich finde das ein faires Angebot«, sagte Hans-Gerd Schatz und schoppte sich dynamisch den Ärmel seiner Freizeitjacke hoch, »außerdem sparen Sie, ich meine, sparst du dir ja dann den Einzelzimmerzuschlag für drei Nächte. Vom Preis-Leistungs-Verhältnis her …«
Ich blickte zu Ann hinüber. Sie sah noch immer so aus, als ginge die ganze Diskussion sie überhaupt nichts an. Selbstvergessen spielte sie mit ihrem Telefon und rieb dabei ihre Nase, als könnte sie die Sommersprossen auf diese Weise wegwischen. Eine Frau von über dreißig, die sich bei Tisch benahm wie ein vierzehnjähriger Junge. Genau so saßen meine Neffen bei Familientreffen da, still und einigermaßen gekämmt, die Augen über Stunden starr auf zwei kleine Multimediageräte gerichtet. Manchmal chatteten sie auch.
Und zwar miteinander. Auf dreißig Zentimeter Entfernung.
Es half nichts. Aus dieser Nummer hier kam ich nicht mehr her aus. Schlimmer als die letzte Klassenreise konnte es nicht werden.
Ob Ann deshalb vorhin geweint hatte? Weil kein Zimmer für sie frei war?
»Ist in Ordnung«, sagte ich schließlich, »Hauptsache, ich muss nicht unter dem Bild schlafen.«
Endlich blickte Ann in meine Richtung. Ihre grünen Augen hatten sich zu
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