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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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zusammengekniffen.
    »Ist das diese Lesung?«, fragte ich und deutete auf den Lautsprecher.
    Das Mädchen nickte und nuschelte etwas, das klang wie »Schlip penbekenntnisse«.
    »Bitte, wie?«
    Das Mädchen sortierte stur weiter ihren Papierstapel. »Ich hab den Titel nicht gemacht«, sagte sie entschuldigend.
    »Welchen Titel?«
    »›Schamlippenbekenntnisse‹. Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, gehört zum Package dazu.«
    Das war ja noch schlimmer, als nachmittags ohne Vorwarnung gewogen zu werden. Wenn ich nicht ohnehin schon beschlossen hätte abzureisen, spätestens das hätte mir sicherlich den Rest gegeben. Wie gut, dass ich bereits über den Dingen stand. Ich war ja schon gar nicht mehr richtig hier.
    »Kein Problem«, sagte ich versöhnlich, »geben Sie mir doch bitte mal …«
    Das Telefon klingelte. Die Rezeptionistin sah mich mit einem entschuldigenden Schulterzucken an und hob ab.
    »Pension Krabbenkutt … äh, Entschuldigung, Ananda, das Well nesshotel, Yvette am Apparat, was kann ich für Sie tun?«
    Während sie zuhörte, schüttelte sie mehrfach den Kopf. »Nee«, sagte sie schließlich, »bedaure, die Schlemmerwoche mit Heimat abend, so etwas haben wir hier nicht mehr. Wir sind jetzt ein Ayur vedahotel mit spiritueller Note. Wie bitte? Nein, nicht Amanda wie aus dem Denver Clan . Ananda, mit zweimal Nordpol. Ja, das ist was Indisches.«
    Der Anrufer sagte offensichtlich etwas Lustiges, Yvette verzog sauertöpfisch die Mundwinkel.
    »Ja, wem sagen Sie das. Aber wenn Sie einen Tipp von mir wollen, ich geb Ihnen gern die Nummer von meiner Cousine. Die hat eine nette Pension, direkt unten am Hafen.«
    Sie nannte eine Nummer, verabschiedete sich schließlich mit einem kleinen, verschwörerischen Lachen und blickte dann zu mir auf, als hätte sie in der Zwischenzeit völlig vergessen, dass ich da war.
    »Den Schlüssel für die Hundertzwo«, sagte ich knapp.
    Yvette wandte sich zu dem altmodischen Schlüsselbrett um und hob die Hand. Ihre Finger ruderten nervös in der Luft, als müssten sie den richtigen Augenblick zum Zuschnappen abpassen. Einige Keramikanhänger in Leuchtturmform baumelten in trauter Nachbarschaft nebeneinander, die meisten Haken der obersten Reihe waren frei. Anscheinend waren die wenigen Gäste alle auf ihren Zimmern, bis auf die, die noch live in der Pesel-Bar avantgardistischer Unterleibslyrik lauschten. Nur im unteren Teil des Schlüsselbrettes drängten sich die Anhänger dicht an dicht, hingen in Reih und Glied, beinahe erwartungsvoll. Ob der Rentner-Reisebus irgendwo zwischen Heide und Husum bei einem Heizdecken-Fabrikverkauf hängengeblieben war?
    »Tut mir leid«, unterbrach Yvette meine Tagträumerei, »dann hat wohl Ihre Zimmergenossin den Schlüssel.«
    »Meine Zimmergenossin?« Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen. Anscheinend hatte Ann sich den Schlüssel geholt und schon einmal ihr Gepäck in die Hundertzwo gebracht. Mindestens. Wahrscheinlich hatte sie mit ihrem Dinkelkissen meine Bettseite besetzt, die linke, auf der ich seit fast zwanzig Jahren immer schlief. Am Ende hatte sie auch noch in meinen Sachen herumgeschnüffelt. Einen Moment lang hatte ich die Schreckensvision, dass sie in meiner Lieblings-Radlerhose auf dem Barhocker saß und ihre unanständigen Gedichte vortrug.
    »Aber Sie haben doch sicher einen Zweitschlüssel für das Zimmer?«
    Das Mädchen wand sich unbehaglich.
    »Das tut mir jetzt leid, aber den hat nur der Fiete. Unser Hausmeister. Und der hat heute Abend frei, weil seine Schwiegermutter auf Hooge Geburtstag feiert, und die letzte Fähre …«
    »Schon gut«, sagte ich genervt, »dann hole ich mir eben den Schlüssel in der Pesel-Bar.«
    Die Bar war schummerig beleuchtet, und darüber war ich ganz froh, denn dann sah man nicht so viel von den Bildern, die an der Wand hinter den hohen Tischen hingen. Undeutlich konnte ich schemenhafte Figuren entdecken, offensichtlich ohne seegrasgrünes Schamhaar, aber so genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen. Wie nannte Ronja das immer? Ach ja, genau: TMI – too much information.
    Ich blickte zu Ann und dachte für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich, sie hätte sich ungefragt meine Radlerhose ausgeliehen. Aber als ich näher kam, sah ich, dass es sich um ein hautenges Teil aus Kunstleder handelte. Mit dem gehetzten Ausdruck eines wilden Tieres im Käfig tigerte sie zwischen einer Wand mit blauweißen Friesenkacheln und der holzgetäfelten Bar mit dem Jägermeister-Schild darüber

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