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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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hin und her und schmetterte ihre Gedichte in den Raum. Hinter der Bar stand ein älterer Mann in Karohemd und speckiger Weste, der völlig unbeeindruckt mit einem Stück blauer Kreide Getränke und Preise an eine Wandtafel malte. »Weekend Aktion«, stand ganz oben, »Pharisäer nur 2,70 Euro«.
    Außer unserer kleinen Reisegruppe hatte sich niemand zum Zuhören gefunden, ich erblickte nur bekannte Gesichter auf den wenigen Zuschauerplätzen. Geli und Hans-Gerd Schatz saßen mit schreckensstarren Gesichtern in zwei Polstersesselchen, auf dem Tisch vor ihnen zwei kleine Gläser Pils, und versuchten, irgendwo anders hinzuschauen als zu Ann. Hans-Gerd fixierte den Schaum auf seinem Glas, als sei in den Bläschen, Hügeln und Tälern ein Preisvergleich für Wellnessurlaube an der Nordsee verborgen. Geli studierte einen Prospekt in ihrer Hand, von dem ich nur das große blaugrüne Logo erkennen konnte. Ich hatte die Prospekte schon in einem Ständer in der Hotellobby stehen sehen. Wenn mich nicht alles täuschte, ging es um einen Outlet-Store in einer alten Scheune ganz hier in der Nähe, in dem Tischwäsche und Gartenbedarf angeboten wurde.
    »Ich küss dich mit dem Muttermund«, zischte Ann gerade, und Geli ruckte mit ihrem Kopf noch ein wenig tiefer und glättete den Fabrikverkaufs-Flyer dann mit der flachen Hand so energisch auf dem Bar-Tischchen, dass sie beinahe das Pilsglas ihres Mannes umgestoßen hätte. Schon wieder too much information. Definitiv.
    Dem Tanztherapeutenpaar schien Anns Vortrag dagegen sehr zuzusagen. Bärbel klopfte mit dem Daumen eine Art Takt auf der Armlehne des Sessels, was gar nicht so einfach war, schließlich reimten sich Anns Gedichte nicht und hatten auch sonst keinen erkennbaren Rhythmus. Ahimsa hatte die Augen geschlossen, aber auch er nickte in regelmäßigen Abständen mit dem Kopf, so als wäre das keine erotische Lyrik, sondern ein gelungener Popsong.
    Ich blieb im Hintergrund und ignorierte auch den Kurdirektor, der eigentlich der Tourism Manager war und mir mit beinahe flehenden Gesten einen Stuhl anbot. Nach dem nächsten Gedicht würde ich unauffällig zu Ann treten, mir den Schlüssel geben lassen und dann verschwinden. Auf Nimmerwiedersehen.
    Aber Ann ließ sich nicht so einfach unterbrechen. Vielleicht handelte es sich ja auch um ein zwanzigseitiges Monstergedicht ohne Pausen, jedenfalls keine, die lang genug gewesen wären, um unauffällig nach dem Schlüssel zu fragen. Nun wollte ich nicht so unhöflich sein, sie mitten in ihrem Vortrag abzuwür gen, aber langsam stand ich hier auf reichlich glühenden Kohlen. Zumindest, wenn ich die Neun-Uhr-Fähre noch erreichen wollte, mit gepackten Koffern. Vielleicht sollte ich doch noch einmal nachfragen, wann Fiete von seiner Familienfeier zurückerwartet wurde.
    Ich kam nicht weit. Gerade, als ich die Pesel-Bar verlassen wollte, wollte jemand anderes hinein. Eine Naturburschenhand streifte versehentlich meinen Oberschenkel. Ich blickte irritiert zur Seite. Und stellte fest: Die Hand gehörte zum gleichen Körper wie eine gewisse unanständig sinnliche Unterlippe. Wattführer Jans Unterlippe.
    Ich murmelte eine Entschuldigung, aber statt mich durchzulassen, hielt Jan mich am Oberarm fest. Ein salziger Duft umwehte ihn, so als wäre er gerade den Fluten entstiegen. Ein friesischer Meeresgott, man konnte es nicht anders sagen. Ein Gott mit reich lich verstrubbelten Haaren und Spritzern von Feuchtigkeit auf der Jacke. Das Wetter da draußen schien immer noch weiter aufzudrehen.
    Er sah mich ohne die Spur von Schuldbewusstsein an.
    »Hey!«, raunte er mir ins Ohr. »Du willst doch nicht etwa weglaufen?«
    Aus seinem Mund klang die harmlose Frage irgendwie anzüglich.
    »Ehrlich gesagt«, flüsterte ich zurück, »ich wüsste nicht, was dich das angeht.« Ich wunderte mich über mich selbst. Unversehens war ich auch zur Du-Sagerin geworden. Musste an Jans Alter liegen.
    »Aber ich wollte gleich noch ein paar Takte erzählen zu unserem Programm«, sagte er eifrig und sah mich an wie ein kleiner Junge, der seiner Mutter stolz seine neue Lego-Ritterburg mit hochklappbarer Zugbrücke vorführt. »Da brauch ich dich doch.«
    Erste Köpfe wandten sich um, um zu sehen, was da am Eingang getuschelt wurde. Ann deklamierte weiter und warf mir einen drohenden Blick zu. Jan hatte seine Hand noch immer an meinem Oberarm und zog mich jetzt hinaus ins Foyer. Langsam wurde es mir ein bisschen viel mit der plumpen Vertraulichkeit. Der Kerl wusste

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