Friesenherz
schließlich noch nicht einmal meinen Namen.
»Blödsinn, du brauchst mich kein bisschen«, flüsterte ich, »und ehrlich, ich brauch das hier auch nicht. Zu viel Bohnensuppe und zu viel Gewürze im Massageöl, wenn du mich fragst.«
»Was? Du willst wirklich gehen?« Jetzt blickte er so bestürzt, als hätte ich ihm eröffnet, dass ich nach sechzehn Jahren Ehe spon tan meinen Mann verlassen wollte. Wahrscheinlich war er mit dem Tourismusdirektor verwandt. Unzufriedene Gäste waren das Schlimmste, was ihnen passieren konnte.
»Nicht nur deswegen«, gab ich schnell zurück, »die Frau Schleibinger gibt sich wirklich Mühe, und diese Idee mit der ganzheitlichen Wellness, die ist schon sehr, also … ganzheitlich.« Etwas Besseres fiel mir auf die Schnelle nicht ein. »Aber ich muss auch aus einem anderen Grund zurück nach Hamburg. Meine Tochter.«
»Oh.« Jan spitzte mitfühlend den Mund. »Vermisst sie ihre Mama?«
»Schön wär’s.« Ich schüttelte lachend den Kopf. »Nein, aus dem Alter ist sie lange raus. Aber sie hat ein Problem, das sie nicht alleine lösen kann.«
»Und das hat nicht bis morgen Zeit?«
Blöde meerblaue Augen. Beinahe hatte er mich rumgekriegt. Aber auch nur beinahe.
»Wenn ich die Fähre um einundzwanzig Uhr …«
Jan winkte ab. »Die erwischst du sowieso nicht mehr. Dafür eine um halb zwölf.«
Ich sah erschrocken auf die Uhr. »Das ist ja fast Mitternacht! Und was mach ich noch so lang?«
»Das kann ich dir verraten.« Jan drückte meinen Oberarm. »Wir beide machen es uns irgendwo gemütlich. Solange die anderen da drin noch beschäftigt sind.« Ich musste ihn etwas entsetzt angesehen haben, denn er fügte eilig hinzu: »Ich meine, ich kann dir schon mal was erzählen über Watt und Meer. Flora, Fauna. Vogelwelt. Und so.«
Im gleichen Moment ging die Hoteltür auf. Auf Kreppsohlen quietschte eine Gruppe von Rentnern in Richtung Rezeption, die Brillengläser mit Wassertropfen besprüht, angeregt schnatternd. Tatsache. Lisi Schleibinger hatte nicht gelogen.
»Ich sollte jetzt wirklich …«, begann ich. Dann wusste ich nicht mehr weiter. An der Rezeption klapperten die Schlüssel. »Nein«, hörte ich die Rezeptionistin sagen, »bedaure, bei uns hat die Küche geschlossen. Aber wenn Sie einen Tipp wollen, ich könnte Ihnen das Lokal ›Zum alten Leuchtturm‹ empfehlen. Nur zehn Minuten von hier.«
Jan grinste.
»›Zum alten Leuchtturm‹«, fragte ich ihn, »ist das gut?«
Jan sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ob das gut ist? Das gehört ihrer Schwester!«
Wir schwiegen einen unbehaglichen Augenblick lang. »Soll ich dir mal was verraten?«, fragte er schließlich. Ich spürte, wie mein Gesicht sich verhärtete. Glaubte der etwa, er konnte mich weichkneten mit seinem Surflehrercharme? Nur damit die Gästestatistik stimmte?
Endlich ließ er meinen Arm los.
»Du siehst aus wie eine Frau, die das Meer versteht«, sagte er dann.
8
Als ich mich am nächsten Morgen aus dem Zimmer schlich, schlief Ann noch, mit offenem Mund, einen Speichelfaden im Mund winkel, der sich bis auf ihr Kinn schlängelte. Dazu schnarchte sie wie ein in die Jahre gekommener Schäferhund. Dieses Geräusch, dazu die ungewohnte Nähe einer völlig fremden Frau, war sicherlich auch ein Grund dafür, dass ich die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan hatte. Dass ich Ann gestern tatsächlich auf der linken Bettseite vorgefunden hatte, als ich gegen Mitternacht die Tür geöffnet hatte, hatte auch nicht gerade zu einem erholsamen Schlaf beigetragen. Und so war ich über Stunden jedes Mal wieder aufgeschreckt, wenn ich mich umdrehte und Wand und Bettmitte sich nicht dort befanden, wo sie sich meiner Meinung nach befinden mussten. Es war ein bisschen wie fahren auf der falschen Straßenseite, in einem englischen Auto.
Aber ich wollte nicht unfair sein. In diesen Stunden zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh hätte ich wahrscheinlich nirgends ins Land der Träume gefunden, nicht einmal in einem schall gedämpften Einzelzimmer auf einem allergikerfreundlichen, ergonomisch geformten Dinkelkissen. Zu viel war passiert. Auch wenn eigentlich gar nichts passiert war.
Mein Koffer ratterte über den ausgetretenen Läufer des Pen sionsflurs, und ich erwartete beinahe, dass sich gleich eine der Zim mertüren öffnen und Lisi Schleibinger im Morgenrock dastehen könnte, ein Nudelholz in der Hand und einen drohenden Zug um den Mund. Schließlich hob ich den Koffer am Henkel an und schlich dann lautlos
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