Friesenherz
zurück und stellte Teller und Tassen vor uns ab, nur vor Jan stellte sie nichts. Er blickte sie stumm an, aber sie ignorierte seinen Blick. Langsam goss sie erst Bärbels Tasse voll, danach Ahimsas und Anns. Beim letzten Kännchen zitterte ihre Hand ein wenig, und Ann rückte schnell ein Stück zurück, um nicht von der friesischen Schietwettermischung verbrüht zu werden.
»Frauke?«, fragte Jan schließlich auffordernd.
»Dass du dich noch hierhertraust«, stieß sie hervor, »ich an deiner Stelle würde mich schämen!«
Jan blickte sie herausfordernd an, hob nur die Augenbrauen und schüttelte leicht den Kopf.
»So redet man aber nicht mit zahlenden Gästen«, sagte er. Sie zischte etwas Unverständliches, dann rauschte sie ab. Jan wischte sich sorgfältig die Hände an den Hosenbeinen ab, dann stand er seufzend auf.
»Muss ich mich wohl selbst um meine Fanta kümmern«, murmelte er und ging ihr hinterher in Richtung Tresen.
Ich kaute an meiner Friesentorte und versuchte nicht hinzuhören, was dort hinter mir geredet wurde. Ja, zugegeben, ich hätte verdammt gern gewusst, was zwischen Frauke und Jan vorgefallen war. Möglicherweise war da einmal Liebe gewesen, und noch jetzt war auf jeden Fall eine Menge Gefühl im Spiel, auch wenn es ins Gegenteil gekippt war. Arme Frauke. Das war das Problem in kleinen Orten: Die Leute kannten sich alle, und Beziehungen waren eine riskante Angelegenheit. Vor allem, wenn sie scheiterten. Wie sollte man sich später aus dem Weg gehen, wenn es nur einen Bäcker gab, bei dem man die Samstagsbrötchen holte, und nur eine Tankstelle mit Sonntagsdienst? Aber vielleicht täuschte ich mich auch vollkommen. Konnte ja auch sein, dass Frauke seine Cousine war und ihm nur grollte, weil er den fünfundachtzigsten Geburtstag der Großmutter versäumt hatte. War da nicht diese große Fete gewesen, auf Hallig Hooge?
Gerade nahm ich eine Gabel voll mit Friesentorte in den Mund, als Jan mit einer Flasche Fanta an den Tisch zurückkam. Ich fuhr mir nervös mit der Hand durch die Haare und kaute. Es fühlte sich an, als würde das Stück in meinem Mund zur doppelten Größe anschwellen. Ich starrte auf die Regenschlieren, die unsere nassen Füße auf dem Terrakottaboden hinterlassen hatten.
Jan setzte sich. Aber nicht einfach irgendwohin.
Er setzte sich genau neben mich in den orange-gelb-blau gestreiften Strandkorb.
Fing das jetzt schon wieder an?
Ich dachte, dass das etwas bedeuten müsste, und während ich noch überlegte, ob ich nun endgültig den Verstand verloren hatte, weil ich überhaupt darüber nachdachte, ob es etwas bedeutete, ganz so, als wäre ich vierzehn und nicht vierzig, sah er mich wieder so an, dass ich gar nichts mehr denken konnte, was vermutlich auch besser war.
»Na«, sagte Jan und streckte eine Hand in meine Richtung. Ich grinste dümmlich mit vollem Mund und streckte ebenfalls eine Hand aus, wobei mir gleichzeitig der Gedanke kam, dass Hände schütteln vielleicht nicht war, was er erwartet hatte. Schließlich hatten wir schon den ganzen Tag miteinander verbracht und waren gerade einmal fünf Minuten getrennt gewesen.
Jan hob seinen Arm höher, dann zupfte er mit Daumen und Zeigefinger in meinen Haaren herum. Meine Hand hing noch immer in der Luft wie bestellt und nicht abgeholt.
»So«, sagte er zufrieden, »jetzt kann man dich wieder unter Leute lassen.«
Ich vergaß zu kauen und starrte ihn an.
»Deine Haare«, sagte er, »da war ein Stück Friesentorte drin.«
Mein Zeigefinger fand endlich ein Loch in der Plastikbespannung, in dem er bohren konnte. Es fühlte sich an, als würde ich mich mit der Fingerkuppe an die ganze Welt klammern.
Was war nur los mit mir? Warum warf mich das bisschen Aufmerksamkeit eines Fremden so ganz und gar aus der Bahn?
Jan nahm einen tiefen Schluck Limonade und seufzte genüsslich. Dann sah er auf die Uhr.
»Ja, liebe Leute«, sagte er, »ich werde euch dann bald mal eurem Schicksal überlassen.«
»Natürlich!«, rief ich und merkte selbst, dass dieses Wort sogar meine gewöhnliche Lehrerinnenlautstärke übertraf.
»Äh, ja. Natürlich. Genau.«
Es war schwer zu bestimmten, ob Jan sich über mich lustig machte.
»Du hast ja auch bestimmt viel zu tun, so als Wattführer«, sagte ich rasch, auch wenn ich nicht sicher war, ob das die Situation noch rausreißen konnte.
Er nickte. Um seine Mundwinkel zuckte es.
»Ich krieg noch Besuch von einem Kumpel«, sagte er schließlich. »Der will mal mein neues Dampfbad
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