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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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ihren Kurs nicht gehalten, waren aber nicht ganz so in die Irre gegangen, und ich bemerkte, dass ihre Fußspuren eine fast perfekte Parallele bildeten. Das würde Bärbel sicher freuen. Lediglich die Schätze standen triumphierend im Watt, genau auf einer geraden Linie in Richtung Horizont.
    Die hatten doch garantiert geblinzelt!
    »So«, sagte Jan, »könnt ihr euch jetzt vorstellen, wie es Leuten geht, die sich im Watt verirren? Im Nebel? Und nicht hier, hundert Meter vom Ufer entfernt, sondern richtig weit draußen?«
    Bärbel und Ahimsa griffen sich an den Händen, wohl, um das Erlebte noch einmal auf ihre Weise zu verarbeiten. Mal schloss sie die Augen, mal er, und abwechselnd tanzten sie umeinander herum und summten eine Melodie dazu, die nur aus zwei Tönen bestand. Ich fragte mich, was Torge gesagt hätte, wenn ich ihm einen solchen Schlammtanz vorgeschlagen hätte. Was konnte der Mann sich glücklich schätzen, dass er mich hatte.
    Seine vernünftige Frau.
    »Das ist immer wieder die Frage«, sagte Bärbel schließlich, drehte sich einmal im Kreis und rieb sich die Schläfen. »Wo fängt was an, wo hört was auf?«
    Jan sah sie verwundert an. »Wie meinst du das?«
    »Festland. Inseln. Das wird alles so irrelevant, hier draußen.«
    Jan lachte. »Das sollte man aber besser wissen. Sonst wird’s lebensgefährlich.«
    »Wenn du das so siehst«, sagte Bärbel, etwas beleidigt, weil er ihren philosophischen Ansatz entweder nicht verstand oder nicht verstehen wollte.
    Auf einmal kam mir ein Gedanke. »Sag mal.« Ich zupfte Jan am Ärmel. »Ist das da drüben nicht Föhr?« Ich deutete auf einen schemenhaften Punkt am Horizont, der westlich der Halligkette lag.
    Jan nickte. »Genau. Wenn man kurz vor Niedrigwasser losläuft und ein gutes Tempo vorlegt, kann man da sogar rüberlaufen. Natürlich nicht bei diesem Wetter.«
    »Und was ist mit dem Fährverkehr?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Würde man von dort zum Festland kommen?«
    In Gedanken schmiedete ich schon Pläne. Brieftasche, Handy und Trinkflasche hatte ich dabei, ich würde also bis Hamburg kom men. Das Gepäck konnte ich mir ja nachschicken lassen, wenn auch die Fähren von den kleineren Inseln wieder fuhren.
    Jan lachte und erstickte meine Hoffnungen im Keim. »Sturmtief ist Sturmtief. Da machen die für Föhr keine Ausnahme, nur weil’s größer ist als Boldsum.«
    »Aber heute Abend, da geht alles normal weiter?«, fragte ich.
    Jan musterte mich erstaunt. »Ist das dein Ernst? Du willst immer noch weg?«, fragte er.
    Es klang, als wollte er sagen: Jetzt, wo du mich getroffen hast. Langsam wurde ich ungehalten. Für wen hielt der Kerl sich eigent lich? Glaubte er wirklich, er könnte mir wichtiger sein als meine Tochter? Oder lag es an mir? Interpretierte ich viel zu viel in seine Sätze hinein?
    Geli sah mich misstrauisch an. »Wieso denn weg?«, fragte sie. »Die Woche hat doch gerade erst angefangen.«
    »Da hast du recht«, pflichtete ich ihr bei. »Das wäre schon ein ganz mieses Preis-Leistungs-Verhältnis, wenn ich jetzt fahren würde.«
    Sie blickte mich verständnislos an, aber ich sagte nichts weiter. Wieder hörte ich das Rotorgeräusch in der Luft, und ich sah in den Himmel. Unter der grauen Wolkendecke zog ein Rettungshubschrauber eine schnurgerade Bahn.
    Jan kratzte sich schon wieder an der Nase. »Wir sollten langsam zurückgehen«, sagte er, »Niedrigwasser ist schon eine Stunde her. Und der Wind wird nicht besser.«
    »Aber die Wattwürmer?«, fragte Geli weinerlich, und Jan lä chelte ihr zu.
    »Die lassen wir heute mal in Ruhe. Die müssen sich ja auch …«
    Wir sollten nie erfahren, was die Wattwürmer mussten, denn in diesem Moment wurde Jan von einem spitzen Schrei unterbrochen. Im nächsten Augenblick lag Ann auf den Knien, Matschspritzer auf den Schenkeln bis hinauf zur Brust.
    »Nichts passiert«, sagte sie, »bin bloß gestolpert.«
    Schlammverschmiert, wie sie war, erinnerte sie mich plötzlich sehr an meine Tochter bei ihrem ersten Nordseeurlaub.
    Jan ging zu ihr und tippte ihr an die Schulter. Dann hielt er ihr eine Hand zum Aufstehen hin.
    »Das war nicht deine Schuld«, grinste er. »Das war die Frau mit dem roten Rock.«
    »Die Frau mit dem roten Rock?« Ann blickte an sich herunter. »Aber das bin doch …«
    »Die Frau mit dem roten Rock geistert durchs Watt und bewacht einen Schatz!« Jan senkte verschwörerisch die Stimme. »Und sie mag es gar nicht, wenn unterwegs zu viel gequasselt wird. Dann springt sie

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