Friesenherz
Einwilligung geben.«
»Och«, sagte Bärbel und spielte an ihrem Delfin, »ich sag immer, jeder Mensch muss seine eigenen Fehler machen.«
Mit dem Daumen wischte ich auf dem Display weiter und hielt dann an. Dieses Foto mochte ich auch besonders. Torge saß auf dem Sofa, sehr aufrecht, den Blick in die Ferne gerichtet, als müsste er Ausschau halten nach Gefahren welcher Art auch immer. Ronja kauerte daneben, in einem Schlafanzug, aus dem sie eigentlich schon herausgewachsen war. Auf dem Foto sah es so aus, als würde sie ihren Kopf an Torges Schulter legen, obwohl ich mir nicht sicher war, ob sie das wirklich tat. Seitdem meine Tochter zuerst intensiv mit den Pferden aus dem Reitstall gekuschelt hatte und jetzt noch intensiver mit ihrem neuen Freund, fiel für uns Eltern nicht mehr viel ab von ihrem Kontingent an Zärtlichkeiten.
»Nein!«, rief Bärbel plötzlich aufgeregt. »Schau mal, Ahimsa! Das kann doch nicht wahr sein!« Und sie fuchtelte mit meinem Display unter seiner Nase herum.
Ahimsa starrte blicklos auf das Bild, dann auf seine Lebensgefährtin.
»Na, siehst du’s denn nicht!«, Bärbel packte ihn an der Schulter und deutete auf etwas. »Der Ring! Das ist genauso ein Ring, wie ihn Uli und Micha auch hatten, weißt du, die beiden aus deiner alten WG!« Und sie zeigte auf das Schmuckstück, das Torge an einer Kette um den Hals trug.
Die Eheringe hatten wir uns damals für unsere Verhältnisse richtig etwas kosten lassen, bei einem kleinen Schmuckladen im Karoviertel. Dabei mochte ich die Form schon lange nicht mehr. Viel zu dickes Material, sodass es einem bei jedem intensiven Händedruck beinahe den Fingerknochen brach. Aus genau dem Grund trug Torge ihn auch um den Hals, und ich trug ihn so gut wie gar nicht mehr. Ich fühlte mich auch so verheiratet genug, ich brauchte diese Ehefrauen-Erkennungsmarke nicht.
Ahimsa blickte griesgrämig drein und zuckte die Schultern. Offensichtlich behagte es ihm nicht, wenn Bärbel von Eheringen sprach. Dann fiel mein Blick auf Ann. Sie saß ganz starr und hatte das Rühren in ihrer Teetasse eingestellt. Dabei fixierte sie das Display meines Handys, als würde sie sich gleichzeitig auf das Foto konzentrieren und es überhaupt nicht wahrnehmen. Blass sah sie aus, beinahe so elend wie heute Morgen.
Sie nahm einen tiefen Atemzug, dann stand sie vorsichtig auf und stützte sich dabei am Tisch ab. Dann ging sie schnellen Schrittes in Richtung Toiletten.
Bärbel sah ihr mitleidig hinterher. »Bohnensuppe«, sagte sie. »Wir sollten mal mit Dr. Sidhoo reden. Hülsenfrüchte sind nichts für Vata-Typen.«
Ich wechselte von »Galerie« zu »Kontakte« und wählte Ronjas Mobilnummer. Nach zwei Freizeichen sprang die Mailbox an. Ich atmete ins digitale Nichts, dann legte ich auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
13
Noch am Sonntagnachmittag war ich überzeugt gewesen, dass die Zeit der unliebsamen Überraschungen nun endlich vorbei war. Am Montagmorgen wusste ich so einiges besser. Unter anderem, dass der Fährverkehr seit dem harten Winter 1986 noch nie länger als drei Tage am Stück eingestellt worden war und dass sich die Situation auch heute stündlich ändern konnte. Außerdem, dass mein alter Freund am Fahrkartenschalter nicht nur einen Kaffeebecher mit Seemannsknoten besaß, sondern auch noch einen von der Nachbarinsel, auf dem »frisch föhrliebt« stand. Last but not least hatte ich meinen Koffer nun so häufig ein- und wieder ausgepackt, dass ich immer neue Geschwindigkeitsrekorde aufstellte und ernsthaft überlegte, mich mal bei »Wetten, dass?« zu melden.
Immerhin hatte ich endlich Torge erreicht, der überhaupt nichts von Ronjas Plänen wusste – warum war ich nicht überrascht? – und mir versprochen hatte, ein ernstes Wort mit ihr zu reden. Er fand es vollkommen unnötig, dass ich früher zurückkommen wollte. »Du musst auch mal an dich denken«, diesen Satz hatte er mindestens dreimal gesagt. Und ich hatte es nicht übers Herz gebracht, ihm zu sagen, dass ich auch sehr egoistische Gründe für meine Abreisepläne hatte. Die Bohnensuppe, die ungewohnte Bett genossin, die indiskreten Fragen nach meinem Liebesleben. Aber schließlich war das hier sein Geburtstagsgeschenk, und er hatte es ja lieb gemeint.
Nach unserem Gespräch war ich erleichtert gewesen. Es hatte gutgetan, seine warme Stimme zu hören, eine Stimme, die nach Sicherheit klang und Klarheit. Doch im Lauf der zweiten Nacht, die ich schlaflos neben der schnurchelnden Stehdichterin
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