Friesenherz
dieser Einwilligungserklärung für die Nacktfotos. Obwohl ich ihr am Telefon doch ganz klar gesagt hatte, was ich davon hielt. Aber was mich sprachlos machte, das war die Art und Weise: Sie hatte mir einfach nur das Formular zum Unterschreiben für die Fotosession geschickt. Keine persönlichen Zeilen dazu, nicht einmal einen Gruß. Obwohl sie etwas von mir wollte, konnte sie sich nicht mal mehr dazu durchringen. Es stand ernster zwischen meiner Tochter und mir, als ich geahnt hatte.
»Ich glaube«, sagte ich zu Ann, »mit sechzehn wusste meine Mutter noch alles über mich. Und ehrlich gesagt, so viel hat sich daran nie geändert. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, weißt du.«
»Schön für dich.«
»Na ja«, sagte ich, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, einlenken zu müssen. »Ich glaube, den Namen meines Lieblingspferdes hat sie sich nicht gemerkt. Vielleicht ja auch noch anderes, das nicht so wichtig war. Ist ja auch alles schon so lange her.«
»Findest du? Dass es wirklich lange her ist? Für mich fühlt es sich nicht so an. Gar nicht.«
»Ja. Das glaub ich dir aufs Wort.«
Ann lachte geschmeichelt. Wenn du wüsstest, dachte ich böse. Wenn du wüsstest, wie sehr du dir in die Tasche lügst. Guckst heraus aus deinen grünen Augen mit dem Blick einer Zwanzig jährigen, aber wenn einer zurückschaut, dann sieht er dich, wie du wirklich bist. Eine Frau mit aufgedrucktem Verfallsdatum.
»Ich bin natürlich trotzdem nah dran, am Seelenleben einer Sechzehnjährigen«, sagte ich leichthin. »Das ist ja das Schöne am Kinderhaben, man verliert nie den Kontakt.«
»Zur Jugend?« Ann hob spöttisch die Brauen.
»Nein. Zur eigenen Vergangenheit. Und weil ich mich selbst kenne und meine Tochter, kann ich dir auch genau sagen, was Ronja fehlt zum Erwachsenwerden.«
»Na, jetzt bin ich aber gespannt.«
»Distanz. Ein kühler Kopf. Ein gewisser Weitblick. Irgend wann stellt der sich ja Gott sei Dank ein.«
»So. Tut er das.«
»Ich hoffe doch«, sagte ich und verkniff mir im letzten Moment ein »Ich hoffe es für dich«.
»Jetzt hab ich so viel gehört von deiner Ronja«, mischte sich Bärbel ein, »dass ich wirklich neugierig bin. Hast du nicht ein Foto?«
Endlich fragte jemand. Ich hatte nie zu den Müttern gehört, die von sich aus Bilder herumgezeigten und Begeisterung für zahnlose Wesen mit Milchschorf auf dem Kopf eingefordert hatten, aber wenn sie es wissen wollte, dann ließ ich mir das nicht zweimal sagen.
»Mal sehen«, gab ich mich lässig und fischte nach meinem Alleskönner-Handy, um meine Bildergalerie aufzurufen.
Bärbel und Ahimsa steckten die Köpfe zusammen. Ann rührte weiter in ihrer Tasse und sah aus der Distanz dabei zu, wie ich Ronjas Porträts zeigte.
»Das ist ja lieb!«, rief Bärbel entzückt und zeigte auf mein Display. »War das im Fasching?«
Ich nickte knapp und scrollte schnell weiter. Es war mir gar nicht recht, dass Bärbel meine Tochter in ihrem Manga-Prinzessinnen-Outfit sah.
Schließlich fand ich mein Lieblingsfoto. Ein allgemeinheitstaug licheres als das im weißen Bademantel, mit dem ich den Fahrkartenverkäufer zu bezirzen versucht hatte. Es zeigte Ronja mit ihrem Campingrucksack, einen prüfenden Blick über die Schulter gewor fen. Bärbel musterte es und nickte ernsthaft.
»Ich finde, Ann hat recht«, sagte sie. »Wirklich, sie sieht sehr erwachsen aus, deine Tochter.«
Die hatten gut reden. Aber wahrscheinlich war das so, wenn man selbst keine Kinder hatte. Bärbel würde niemals verstehen, wie das war, wenn man einen Menschen vor sich hatte, den man von seinem ersten Lebenstag an kannte. Ich konnte Ronja einfach nicht anschauen, nicht einmal ein Foto von ihr, ohne dass alle anderen Bildern gleichsam hindurchschimmerten wie auf einer mehrfach belichteten Filmrolle. Natürlich sah ich, dass das Mädchen auf meinem Display einen Busen hatte und Hüften, dilettantisch gezupfte Augenbrauen und rasierte Schienbeine. Aber ich sah eben auch, dass da mein kleines Mädchen zu einer Klassenreise aufbrach, und dabei musste ich sofort an ihre erste Kin dergartenübernachtung denken und an den Frotteefrosch, der sie überallhin begleitet hatte, ja, auch die Baby- und sogar die Ultraschallfotos aus der Schwangerschaft überlagerten sich vor meinem inneren Auge.
»Ehrlich, das täuscht«, sagte ich und seufzte. »Stellt euch vor, was sie sich gerade in den Kopf gesetzt hat! Sie will sich erotisch fotografieren lassen. Natürlich werde ich dazu niemals meine
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