Friesenkinder
nichts mehr als dieses Kind. Alles habe ich dafür getan und er hat es einfach sterben lassen. Das musste bestraft werden. Er war schuld, dass mein Baby tot ist.« Sie weinte bitterlich.
Dirk half Haie auf, befreite ihn von den Fesseln und dem Knebel, ehe er zum Telefon griff und die Kollegen rief.
Keine 20 Minuten später fuhren die Kollegen vor und nahmen Lisa Fischer mit, die bis dahin kein weiteres Wort gesagt hatte. Thamsen würde zu der Befragung einen Psychologen hinzuziehen. »Aber nun bring ich erst einmal dich nach Hause!« Er klopfte Haie auf die Schulter. Der war von dem Schreck immer noch kreidebleich und etwas wackelig auf den Beinen und nickte daher nur. Thamsen verstaute zunächst ihn, dann sein Fahrrad im Wagen, ehe er nach Risum fuhr.
Als sie am SPAR-Markt vorbeikamen und Haie immer noch schwieg, hielt er kurz entschlossen bei der Gastwirtschaft an, in der ungewöhnlicherweise um diese Zeit noch Licht brannte.
»Komm, auf den Schrecken hast du dir erst einmal einen Klaren verdient.«
Haie folgte ihm in den Gastraum, in dem gerade die letzte Runde bei den Stammtischbrüdern eingeläutet wurde. Während der Hausmeister auf die Toilette verschwand, rief Dirk bei Tom und Marlene an.
»Nein, es geht ihm gut«, versicherte er und versprach, Haie nachher bei ihnen abzuliefern. In dieser Situation wollten sie Haie nicht allein lassen.
Der Wirt schenkte ihnen Schnaps ein und sie nickten einander kurz zu, ehe sie den Alkohol kippten.
Haie bekam noch einen zweiten, Thamsen stieg auf Wasser um.
Noch immer hatte der Freund kaum etwas gesagt. Der Schreck schien tiefer zu stecken als gedacht.
»Was passiert denn nun mit Lisa Fischer?«, fragte er, nachdem er auch das zweite Glas geleert hatte.
Thamsen zuckte mit den Schultern.
»Na ja, immerhin hat sie Dr. Merizadi erstochen. Und das nicht im Affekt, sondern geplant. Das ist Mord.«
Und das Baby von Miriam Kuipers hatte sie wohl auch umgebracht. Zwar nicht willentlich, aber durch die Entführung hatte der Säugling nicht die notwendige medizinische Versorgung erhalten, die er benötigte, und war deshalb gestorben.
»Wie so ein Kinderwunsch ein Leben dominieren kann«, flüsterte Haie. Thamsen nickte. Dabei ging es, rein sachlich betrachtet, nur um die Fortpflanzung und die Verbreitung des eigenen Erbguts. So jedenfalls hatte es wohl auch Ole Lenhardt gesehen, als vornehmlich er sich Kinder von Dr. Merizadi züchten ließ.
Er brachte Haie wie versprochen zu den Freunden, die die beiden Männer liebevoll empfingen. Marlene hatte Tee gekocht, doch Thamsen musste die Einladung ablehnen. Er hatte einen langen Tag hinter sich und musste morgen wieder früh raus, da noch eine Menge Arbeit auf ihn wartete.
Als er am nächsten Morgen in der Dienststelle ankam, hörte er schon vom Flur aus sein Telefon klingeln. Er nahm an, es seien die Husumer Kollegen, und rannte ins Büro.
»Ach, hallo, Dörte.« Sofort überfiel ihn sein schlechtes Gewissen. Er hatte sich immer noch nicht bei ihr gemeldet. Das hatte sie nicht verdient. »Ich stehe kurz vor Abschluss des Falls und denke, ich werde am Wochenende frei haben. Wollen wir etwas zusammen unternehmen?«
Er kannte sich selbst plötzlich nicht, aber nun war es raus.
Und Dörte war hellauf begeistert, schlug gleich mehrere Aktivitäten vor. »Gut, ich melde mich dann«, sagte er und legte auf. Nur ein kurzer Moment blieb ihm zum Verschnaufen und um nachzudenken, ehe ein Mitarbeiter die Tür aufriss.
»Die Frauen wollen ihre Aussagen widerrufen.«
»Mist!«, fluchte Thamsen, dabei hatte er sich so etwas Ähnliches schon gedacht. Wahrscheinlich hatten die anderen Mitglieder der Gruppe Druck auf die Mütter ausgeübt. Er griff zum Telefonhörer und rief die Husumer an.
»Nee, wirklich nachweisen können wir dem Ole nichts. Er streitet alles ab«, antwortete Lorenz Meister auf Thamsens Frage nach dem Stand der Ermittlungen. »Aber zum Glück haben wir ja die Aussagen der Frauen.«
»Die wollen widerrufen«, stöhnte Thamsen.
»Verdammt!«, zischte der andere Beamte. »Du musst sie davon abhalten.« Thamsen wusste, dass dies so gut wie unmöglich sein würde. Die Neonazis hatten die Frauen voll in ihrer Gewalt. Die Mütter würden alles tun, um ihre Kinder zu schützen. Aber irgendwie musste man der braunen Pest doch beikommen können. Allerdings war das nun mehr oder weniger Sache des Verfassungsschutzes und der Staatsanwaltschaft, befand Thamsen. Er legte auf und ließ Lisa Fischer vorführen.
Der Psychologe
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