Friesenkinder
wenigsten hatte sehen können, hatte bei jedem zweiten Foto um Bedenkzeit gebeten und somit am Ende den gesamten Prozess derart verzögert, dass er es vor der Telefonkonferenz mit den Husumer Kripobeamten nicht mehr geschafft hatte, ins Krankenhaus zu gehen.
Er packte ein paar Akten zusammen und verließ dann das Büro. Der Weg zum Krankenhaus war nicht weit. Die Polizeidienststelle lag direkt neben den 1964 errichteten Gebäuden des Klinikums Niebüll. Die wenigen Schritte ging er deshalb zu Fuß.
Der Gastwirt der griechischen Taverne war böse zugerichtet worden. Mehrere Prellungen, eine gebrochene Rippe, ein ausgeschlagener Zahn und ein gebrochenes Schlüsselbein waren nur die äußeren Verletzungen, die mit Sicherheit verheilen würden. Anders sah es da mit den seelischen Wunden aus. Allein die ständig angstvoll umherhuschenden Augen sagten diesbezüglich alles.
Dirk Thamsen wusste nicht genau, wie er den Bekannten ansprechen sollte.
»Wie geht es dir?«, fragte er daher, wie man es üblicherweise tat. Wenngleich eigentlich ersichtlich war, wie es dem Wirt der Taverne ging.
»Beschissen«, lautete auch dessen prompte Antwort.
»Kannst du trotzdem kurz erzählen, was gestern Abend passiert ist?«
Aber im Grunde genommen war dies nicht nötig, da der Besitzer des griechischen Restaurants genau den gleichen Tathergang schilderte wie sein Angestellter. Natürlich mit dem Unterschied, dass er derjenige war, der von den Typen niedergeschlagen wurde.
»Haben die denn irgendetwas gesagt?«
»Nur, dass sie solche Kanaken wie mich hier nicht mehr sehen wollen.«
Thamsen schluckte. Auch wenn er selbst eine andere Einstellung hatte, schämte er sich für seine Landsleute.
»Und könntest du die Kerle identifizieren?«
Zu seinem Erstaunen schüttelte der Grieche den Kopf. Dabei war sich Dirk ziemlich sicher gewesen, der Mann müsse die Typen sehr genau beschreiben können. Immerhin hatte er ihnen ins Gesicht gesehen und Masken hatten sie laut Angaben beider Zeugen nicht getragen. Mit Sicherheit würde er die Männer wiedererkennen. Aber wahrscheinlich hatte er Angst. Vermutlich hatten die Kerle ihm sogar gedroht. Und in die Polizei hatte er, ebenso wie der Chinese, von dem der Taxifahrer ihm am Morgen erzählt hatte, wenig Vertrauen. Nicht ganz unberechtigt, denn konnten sie die Leute wirklich ausreichend schützen?
»Das heißt, du willst keine Anzeige erstatten?«
Der Wirt schüttelte mutlos seinen Kopf.
»Wo Haie bloß steckt?«, Tom und Marlene standen vor der Wiege im Kinderzimmer und schauten dem schlafenden Niklas zu.
So langsam machten sie sich Sorgen um den Freund. Das war überhaupt nicht seine Art, etwas zuzusagen und sich dann nicht zu melden. Gut, Tom hatte gesagt, es würde später Nachmittag werden, bis sie zu Hause waren, aber mittlerweile war es sechs Uhr durch und Haie hatte nicht einmal angerufen.
Und erreichbar war er auch nicht. Weder daheim noch auf seinem Handy.
»Ob ich Dirk mal anrufe?«, fragte Marlene mehr sich selbst als Tom. Sie hatte ihn ohnehin anrufen wollen wegen der Befragung im Krankenhaus und um ihm ihren Verdacht in Bezug auf die Entführung mitzuteilen.
Sie erreichte Thamsen im Büro, der gleich nach dem ersten Klingeln abnahm.
»Ach, ihr seid doch schon zu Hause?« Er hatte angenommen, Marlene müsse aufgrund der schweren Geburt noch länger in der Husumer Klinik bleiben.
»Möchtest du vielleicht später vorbeikommen? Ich würde dir auch gern noch von der Befragung im Krankenhaus erzählen.« Thamsen blickte auf die Uhr.
»Und was ist mit gleich?«
»Warum nicht«, entgegnete Marlene, »eigentlich wollte Haie zwar kommen, aber der hat sich noch nicht gemeldet. Weißt du, wo der steckt?«
»Nee, aber ich kann gern vorher bei ihm vorbeischauen«, bot Thamsen an.
Gut eine viertel Stunde später saß Thamsen im Dienstwagen der Polizei und fuhr Richtung B5. Die Dienststelle besaß einen Poolwagen, den sie für Ermittlungen nutzten, wenn man nicht direkt mit dem Peterwagen irgendwo vorfahren wollte. Für gewöhnlich fuhr er lieber mit seinem privaten Pkw und überließ den Dienstwagen den Mitarbeitern, aber in diesem Fall brauchte er einen fahrbaren Untersatz und hatte sich selbst für die nächsten Tage in die Liste der Nutzer eingetragen.
Der Feierabendverkehr war zwar in vollem Gange, aber in Niebüll war das nur halb so wild und bedeutete eigentlich keinerlei Verzögerung.
Er bog in Risum nicht direkt auf die Dorfstraße ab, sondern fuhr zunächst zur
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