Friesenkinder
selbst die Finger schmutzig.«
»Nicht?« Dirk dachte an den Übergriff auf Haie. Der Beschreibung nach hatte Ole Lenhardt selbst die Drohungen ausgestoßen.
Doch Lars schüttelte den Kopf. »Der hat überall seine Handlanger.«
»Aber befragen können wir ihn ja wenigstens zu diesen Flugblättern. Mal sehen, was er so sagt.«
»Das ist ja furchtbar«, entgegnete Gesine Liebig, nachdem Tom ihr von den Flugblättern in der Zeitung erzählt hatte. Natürlich hatte sie trotz aller Begeisterung für ihren Enkel Interesse daran, was Dirk Thamsen hier gewollt hatte. Zumal er so schnell wieder verschwunden war und mit ihr so gut wie kein Wort gewechselt hatte. Marlenes Mutter kannte Dirk von der Hochzeit. Er war ja schließlich der Trauzeuge ihrer Tochter gewesen.
»Und ihr glaubt, hier ist die richtige Umgebung, um ein Kind großzuziehen?« Natürlich überspannte Gesine Liebig mal wieder den Bogen. Sie hätte Marlene und den Kleinen am liebsten bei sich in Hamburg gehabt und nutzte daher jeden Anlass, ihnen Risum-Lindholm als Wohnort madig zu machen. Die Aktivitäten der Neonazis waren natürlich ein gefundenes Fressen für sie und Marlene versuchte, Tom mit Blicken zu töten, weil er dieses Thema zur Sprache gebracht hatte.
»Na, nun übertreib mal nicht«, versuchte Tom daher, die Wogen wieder zu glätten. »Hamburg ist da wohl auch nicht besser!«
»Kommt ganz darauf an, wo man wohnt«, betonte Gesine Liebig, die mit ihrem zweiten Mann an einer der besten Adressen in Hamburg lebte. Sie hatte nach dem Tod von Marlenes leiblichem Vater reich geheiratet und hatte nun leicht reden. Wenn Geld keine Rolle spielte, konnte man sich seinen Wohnort natürlich aussuchen. Da war selbst die Elbchaussee nicht zu teuer.
Aber selbst wenn Marlene die Wahl gehabt hätte, sie lebte gern hier. Nach dem Mord an ihrer besten Freundin hatte sie sich ein paar Mal die Frage gestellt, ob sie hier wohnen bleiben sollte. Aber nicht, weil es in der Gegend so gefährlich war, sondern weil sie Angst hatte, mit den Erinnerungen nicht klarzukommen.
Doch sie hatte sich für ein Leben in Nordfriesland entschieden. Hier war sie zu Hause, hier gehörte sie hin.
Bevor die Diskussion ausarten konnte, meldete sich Niklas zu Wort. Er hatte Hunger. Marlene verzog sich mit ihm zum Stillen ins Kinderzimmer und ließ Tom mit den Eltern allein. Als sie aus dem Fenster blickte, sah sie Haie vorbeiradeln. Er war schnell unterwegs, blickte nicht mal zum Haus hinüber.
»Na, wo der wohl hin will?«, murmelte sie, setzte sich auf den Sessel und entblößte ihre Brust.
»Die Milchbar ist geöffnet«, flüsterte sie lächelnd.
Haie hatte es tatsächlich eilig. Nach dem Tee und Kuchen bei Elke war er unruhig geworden. Die Neuigkeiten über die Patienten aus der rechtsradikalen Szene hatten ihn aufgescheucht. Das wollte er genauer wissen, vielleicht war das eine heiße Spur?
Er hatte sich von Elke verabschiedet und auf sein Rad geschwungen. Lore Jensen wohnte in Spätland, nur wenige Meter von Haie entfernt. Eigentlich hatte er mit ihr nicht viel zu tun, aber er kannte beinahe jeden im Dorf, da er hier aufgewachsen war, und hatte deshalb keine Berührungsängste. Außerdem wussten die meisten von seiner Freundschaft mit dem Kommissar, und dass er hin und wieder als eine Art Hilfssheriff einsprang. Auch wenn einigen Leuten seine neugierige Art nicht immer gefiel, für seinen Beitrag an der Aufklärung etlicher Verbrechen zollten ihm die meisten Bewohner trotzdem reichlich Respekt. Und so verschwand auch auf Lore Jensens Gesicht schnell der verwunderte Ausdruck, als Haie sie nach ihrer Arbeit in der Praxis des ermordeten Arztes fragte.
»Na ja«, gab sie vorsichtig zu bedenken, »viel hab ich nicht mitbekommen. Und ich versteh ja auch nichts vom Kinderkriegen.«
Lore Jensen war früh verwitwet, sehr früh. Mit ihrem Mann hatte sie keine Kinder gehabt und nach seinem Tod hatte es für sie keinen anderen mehr gegeben, was ihr im Dorf den Ruf eingebracht hatte, sonderbar zu sein. Böse Zungen behaupteten, es würde ihr guttun, wenn ›mal einer die Spinnweben beseitigen würde‹. So ein anständiger Kerl halt, aber Haie gab nicht viel auf das Geschwätz im Dorf. Er fand Lore Jensen nett, wenngleich er nicht viel Kontakt zu ihr hatte.
»Willst du einen Lütten?«
Haie nickte und ließ sich von Lore in die Küche führen. Wahrscheinlich würden sich die Nachbarn gleich das Maul zerreißen, weil er sie besuchte. Zumal auch er alleinstehend war. Er drehte
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