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Friesenkinder

Friesenkinder

Titel: Friesenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Duenschede
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wollte man den Täter einfach nur verunsichern? Aber wenn der Kleine wirklich ernsthaft krank war, dann war die Entführung natürlich doppelt heikel, und wenn das Kind starb, hatten sie dann nicht mit diesem Wissen so etwas Ähnliches wie einen Mord? Zumindest unterlassene Hilfeleistung. Aber zu einem Arzt würde der Täter kaum gehen können. Das würde auffallen, die Entführung war mittlerweile auch überregional bekannt.
    Ihm fiel wieder ein, was ihm Marlene erzählt hatte. Miriam Kuipers war bei Dr. Merizadi in Behandlung gewesen. Ob das tatsächlich ein Zufall war oder ob sich, wie die Freundin vermutete, doch mehr dahinter verbarg?
    Eigentlich konnte er sich eine Verbindung zwischen den beiden Fällen nicht recht vorstellen. Schließlich gab es nur wenige Frauenärzte in der Umgebung, da war wahrscheinlich sowieso jede zweite werdende Mutter bei dem Arzt in Behandlung gewesen.
    Er stand auf und goss sich einen Kaffee ein, als es plötzlich an der Tür läutete. Thamsen runzelte die Stirn. Er bekam so gut wie nie Besuch und schon gar nicht am Sonntag um diese Uhrzeit. Das mussten Freunde von Timo oder Anne sein, dachte er, während er zur Tür lief.
    Doch der Gast an der Haustür wollte tatsächlich zu ihm. Es war Haie Ketelsen.
    »Was machst du denn hier?« Normalerweise rief der Freund an, bevor er ihn persönlich überfiel. Es musste also dringend sein.
    »Der Merizadi ist vielleicht gar nicht von den Neonazis umgebracht worden«, platzte der Freund auch sogleich ohne jegliche Begrüßung heraus.
    »Guten Morgen erst einmal«, grinste Dirk. »Möchtest du vielleicht einen Kaffee?«
    Er ging vor in die Küche und goss dem Freund einen Becher ein.
    Der wirkte irgendwie aufgelöst, als er nach der Tasse griff und gierig trank.
    »Also, was ist mit Dr. Merizadi?«, fragte Thamsen, nachdem er sich an den Tisch gesetzt hatte und auf den anderen Stuhl wies, damit der Freund ihm in Ruhe erklärte, was für Neuigkeiten ihn um diese Zeit hierher trieben.
    »Also, ich habe mit der Lore gesprochen und …«
    »Wer ist denn Lore?«
    »Die Putzfrau vom Merizadi, und die hat gesagt, sie glaubt nicht, dass die ihn umgebracht haben.«
    »Wer die ?«
    »Na, die Nazis. Die waren da nämlich Patienten.«
    »Patienten?«, Thamsen kniff die Augen zusammen, »das war ein Frauenarzt, Haie!«
    »Ja, aber auch die Neonazis haben Frauen!«, eiferte Haie zurück.
    »Hm, und? Nur weil die Patienten waren, heißt das ja nicht, dass sie ihn nicht ermordet haben.« Er musste plötzlich an die ängstlichen Aussagen und Gesichter der Arzthelferinnen denken.
    »Ja, aber die Lore hat gesagt, die seien da ganz friedlich gewesen – bis auf einmal.«
    »Das ›Einmal‹, das sie mitbekommen hat«, korrigierte Thamsen Haie. Sicherlich war die Putzfrau nicht bei jedem Besuch der Neonazis in der Nähe.
    »Die Arzthelferinnen und auch die Witwe sind total verängstigt. Bestimmt waren die nicht nur freundlich zu dem Arzt. Wieso haben die sich eigentlich ausgerechnet den ausgesucht?«
    »Habe ich mich auch gefragt.«
    Haie wunderte sich jedenfalls, warum die rassistischen Mitglieder dieses Vereins zu einem ausländischen Arzt gegangen waren.
    »Also irgendetwas stimmt da nicht.« Thamsen kratzte sich am Kinn. Er musste langsam dieser Truppe doch mal stärker auf die Pelle rücken, auch wenn sich in ihm alles dagegen sträubte.
     
    Tom und Marlene schoben zum ersten Mal den Kinderwagen durch das Dorf. Der Kleine hatte außergewöhnlich lang geschlafen und die beiden fühlten sich daher fast ausgeruht. Nach einem ausgiebigen Frühstück hatten sie die Köpfe zur Tür hinausgestreckt und festgestellt, wie mild die Luft war. Hier und da riss sogar der Himmel ein Stück weit auf und zeigte zwischen den dicken, grauen Wolken ein wenig Blau.
    Sie hatten sich und das Baby dick eingemummelt und waren aufgebrochen. Tom schob stolz den Kinderwagen, in dem Niklas bereits wieder schlief.
    »Der Besuch deiner Mutter hat ihn anscheinend ganz schön müde gemacht«, bemerkte Tom und grinste dabei. Gesine Liebig war selbst für ihn als erwachsenen Mann anstrengend. Sie redete viel, war ständig in Bewegung und verbreitete dadurch eine Unruhe, die sich auf jeden in ihrer Umgebung übertrug. Zum Glück war Marlene ihrer Mutter nicht besonders ähnlich, ansonsten wären sie wohl kein Paar geworden. Dieser oberflächliche Perfektionismus, diese Probleme mit sich selbst, die Gesine Liebig offensichtlich hatte und die sie mehr oder weniger erfolgreich hinter ihrer

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