Friesenkinder
wäre sie sie doch auch los.« Dirk verstand wirklich nicht, was die Witwe dazu trieb, das Erbe quasi zu verschenken.
Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Ich versuche nur zu helfen.« Dr. Arne Prust schien die Beweggründe der Witwe nicht weiter zu hinterfragen. Er war etwa Mitte 40 und seit einem Kongress in Leipzig vor vier Jahren mit Farhaad Merizadi befreundet gewesen, wie er Thamsen erzählte. »Und ist Ihnen bisher etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Der Arzt blickte Thamsen fragend an. »Woran haben Sie gedacht?«
»Na ja, bisher gehen wir davon aus, dass Ihr Freund von Neonazis umgebracht wurde. Seltsamerweise wurde uns aber berichtet, hier seien ungewöhnlich viele Patientinnen aus dieser Gruppe in Behandlung.«
»Ist mir noch nicht aufgefallen.«
»Haben Sie sich denn schon einmal die Krankenakten genauer angeschaut?«
»Wo denken Sie hin. Ich kann mich hier wirklich nur um das Allernotwendigste kümmern, aber selbst wenn, ich dürfte mit Ihnen nicht darüber sprechen.«
»Aber wollen Sie denn nicht, dass der Mörder gefasst wird?« Thamsen wusste ja von der ärztlichen Schweigepflicht, aber als Freund musste man doch ein Interesse an der Aufklärung des Verbrechens haben.
»Ich habe vor allem ein Interesse daran, meine Approbation zu behalten.«
Thamsen stöhnte innerlich. Warum wurden ihnen durch die deutsche Bürokratie nur so viele Steine in den Weg gelegt? Immerhin lief hier ein Mörder frei herum. Da musste doch alles dafür getan werden, ihn dingfest zu machen. Außerdem konnte der gleiche Täter etwas mit dem verschwundenen Baby zu tun haben, und wenn sie dem Entführer nicht bald auf die Schliche kamen, hatten sie vielleicht bald einen zweiten Todesfall aufzuklären.
»Du musst sofort kommen!«, schrie sie förmlich in den Hörer. Nach dem Mittagsschlaf bekam sie den Kleinen nicht mehr richtig wach, er wirkte apathisch und sehr schwach.
Er glühte auch wieder. Sie geriet in Panik, riss ihn aus dem Bett, zog ihn an und rannte zum Wagen. In Windeseile fuhr sie zum Haus ihres Freundes, in dem sich auch die Praxis befand, doch als sie dort ankam, war diese verschlossen und auch der Freund war nicht daheim.
»Ich kann hier nicht weg. Wenn du Hilfe brauchst, musst du herkommen.«
»Das geht nicht!«, schrie sie wieder.
»Dann fahr ins Krankenhaus. Wo ist überhaupt die Mutter von dem Kleinen?«
»Weg!«, kreischte sie und legte auf.
Da sie sich nicht anders zu helfen wusste, fuhr sie einfach wieder nach Hause. Zu einem anderen Arzt oder gar in die Klinik konnte sie auf keinen Fall. Auf dem Heimweg hielt sie an einer Apotheke.
Die junge Frau hinter dem Tresen blickte besorgt auf das Kind in dem Maxi-Cosi und riet ihr ebenfalls, lieber einen Kinderarzt aufzusuchen.
Sie verlangte fiebersenkende Zäpfchen und einen Kräutertee, mit der Tüte eilte sie zurück zum Wagen und fuhr heim. Sie packte den Säugling aus und machte ihm erneut Wadenwickel. Dann verabreichte sie ihm ein Zäpfchen und kochte den Tee. Irgendwie musste das Fieber doch zu senken sein. »Bitte, Gott, bitte!«, schickte sie ein Stoßgebet in den Himmel, als sie dem Kleinen das Fläschchen gab. Aber er trank nicht. Er reagierte eigentlich überhaupt nicht mehr. Sie rüttelte ihn, schüttelte ihn, doch seine Augen blieben geschlossen.
Auf dem Heimweg hatte Marlene rasch im SPAR-Markt noch ein paar Dinge für das Abendessen eingekauft. Als Helene, die Besitzerin vom Supermarkt, sie mit dem Kinderwagen sah, kam sie sofort angerannt. Neugierig steckte sie den Kopf in den Wagen und begutachtete das Kind.
»Da können Sie sich wirklich glücklich schätzen.« Marlene nickte, doch ihr war sofort klar, dass die Ladenbesitzerin nicht nur die Geburt des Kindes meinte.
»Hab gehört, Sie haben mit der Miriam Kuipers auf einem Zimmer gelegen. Hätte also auch Ihres sein können, was entführt wurde.«
Marlene schluckte. Ihr war sofort bewusst gewesen, was für ein Glück sie eigentlich gehabt hatten. Tatsächlich hätte sich der Täter auch Niklas aussuchen können.
»Und das, wo die Miriam doch wirklich alles daran gesetzt hat, schwanger zu werden. War ja bestimmt auch nicht billig, so eine künstliche Befruchtung.«
Marlene ärgerte es, wie die Frau über das Kind sprach. Als sei es eine Ware. Sie fand die medizinischen Möglichkeiten diesbezüglich heutzutage gut, auch wenn Leute wie ihre Hebamme und scheinbar auch Helene das anders sahen.
»Hoffentlich findet die Polizei den Kleinen bald«, entgegnete sie daher und
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