Friesenkinder
schob mit Niklas weiter.
»Na, ich weiß nicht.« Helene wiegte den Kopf. Ihr Vertrauen in die Polizei schien nicht besonders groß, und Marlene musste zugeben, dies war durchaus verständlich. Immerhin war das Baby schon etliche Tage verschwunden und weder in diesem Fall noch in dem Mordfall gab es nennenswerte Erfolge. Außer ein paar Skinheads, die sich im Dorf immer breiter machten und gegen die die Polizei auch nicht wirklich etwas unternahm, gab es nichts Neues.
»Ich denke, wir sollten die Geburt einleiten. Das Baby ist überfällig und außerdem ist es schon sehr groß.« Dr. Prust hatte die Herztöne des Kindes überprüft und setzte sich zurück an den Schreibtisch.
»Ich schreibe Ihnen eine Überweisung in die Klinik.«
»Wir wollen nicht in die Klinik.« Ole Lenhardts Stimme ließ den Arzt aufhorchen. »Dr. Merizadi hat uns versprochen, dass sie zu Hause entbinden kann.«
Dr. Prust räusperte sich. »Dr. Merizadi ist tot. Ich löse hier quasi nur die Praxis auf.«
»Das ist uns egal. Sie geht auf keinen Fall in die Klinik.«
»Aber wenn die Geburt eingeleitet werden soll, dann … «
»Machen Sie das halt hier.«
Dr. Prust fing Oles Blick auf und wich automatisch ein Stück zurück. Ihm war dieser Kerl nicht geheuer. Das war heute schon das vierte Pärchen, bei dem er einen neonazistischen Hintergrund vermutete. Aber dieser Typ war trotzdem anders, er wirkte bedrohlich und langsam bekam es der Arzt mit der Angst zu tun. Aber er konnte unmöglich hier in der Praxis eine Geburt einleiten.
»Hören Sie«, versuchte er daher, an die Vernunft der Mutter zu appellieren. »Sie haben so viel daran gesetzt, schwanger zu werden.« Wie er der Akte entnommen hatte, war die Schwangerschaft erst beim dritten Versuch einer künstlichen Befruchtung zustande gekommen. »Das wollen Sie doch nun nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.«
Doch anstelle der Frau, die ohnehin bisher nur wenig gesagt hatte, entgegnete Ole: »Das lassen Sie man unsere Sorge sein.«
»Ja, aber …«, versuchte der Arzt zu protestieren.
»Nichts aber«, fuhr der Mann ihn an. »Morgen Abend kommen wir zur Entbindung und Sie bereiten gefälligst alles vor!«
»Nein, das verstehe ich vollkommen,« beruhigte ihn Marlene. »Dann mach dir einen schönen Abend mit deinen Kindern!«
Sie hatte, nachdem sie vom SPAR-Markt nach Hause gekommen war, bei Dirk angerufen und ihn ebenfalls zum Essen eingeladen.
Doch dieser wollte heute lieber zu Hause bei seiner Familie sein. Immerhin war er bereits gestern aus gewesen und hatte sie allein gelassen. Er verbrachte sowieso viel zu wenig Zeit mit ihnen. Irgendwie waren sie plötzlich schon so groß geworden und er hatte das Gefühl, das total verpasst zu haben.
Gut, er hatte eine Menge um die Ohren, aber trotzdem grämte es ihn, dass er durch sein enormes Arbeitspensum so selten die nötige Ruhe und Gelassenheit hatte, ihnen genügend Zuwendung zu geben. Er machte daher zeitig Feierabend und fuhr in den Supermarkt einkaufen.
Seinen Mitarbeitern hatte er gesagt, er würde einen neuen Wagen anschauen, aber das konnte er auch morgen noch. Die vielen Gebrauchtwagen bei dem Händler im Gewerbegebiet würden sicherlich nicht über Nacht ausverkauft sein.
Er wählte Nudeln, Tomaten und Hackfleisch für Spaghetti Bolognese. Das war einfach zuzubereiten und den Kindern schmeckte es. Zum Nachtisch holte er eine Box mit Vanilleeis und Schokoladensoße.
Seine beiden freuten sich, dass er heute zeitig nach Hause kam. Besonders Anne wich ihm nicht von der Seite und schnatterte, während sie ihm beim Kochen half, in einer Tour.
»Nächste Woche ist die Generalprobe von unserem Theaterstück, kommst du?«
»Meinst du nicht, es reicht, wenn Papa dich bei der Aufführung sieht, Quak?« Timo hatte sich zu ihnen gesellt und machte sich über seine kleine Schwester lustig, die in dem Stück eine Kröte spielte, die sich in eine Prinzessin verwandelte. Eine Art emanzipiertes Froschkönig-Stück, was allerdings in erster Linie daran lag, dass der einzige Junge, der sich überhaupt bereit erklärt hatte mitzuspielen, partout kein Frosch sein wollte. Die Lehrerin hatte daraufhin einfach die Rollen getauscht und der Frosch war nun eine Kröte, die sich durch den Kuss des Prinzen in eine Prinzessin verwandelte.
Die Soße blubberte duftend vor sich hin und Thamsen amüsierte sich über das geschwisterliche Gerangel. Er war froh, dass die Kinder trotz allem, was sie durchgemacht hatten, so unbeschwert waren.
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