Friesenkinder
gibt noch weitere Parallelen. Alles unverheiratete Frauen, alle in ungefähr gleichem Alter und seltsamerweise ist hier nichts über die Väter vermerkt.«
»Vielleicht Samenspender? Die wären doch ohnehin anonym, oder?«
»Im Prinzip schon. Aber die Samenbank hat natürlich eine Kennung. Denn jeder Erwachsene hat ja ein Recht darauf zu erfahren, wer seine leiblichen Eltern sind. Und um das nachweisen zu können, wird der Spender unter einer verschlüsselten Kennziffer in der Samenbank geführt. Natürlich nur zu Zwecken der Herkunftsforschung. Verspätete Unterhaltszahlungen oder Ähnliches sind ausgeschlossen.«
Aber bei den Fällen, die Dr. Prust gefunden hatte, waren weder die Namen der Väter noch derartige Nummern verzeichnet. Eines von beiden hätte jedoch auf jeden Fall schriftlich festgehalten werden müssen.
Thamsen kratzte sich am Kinn. »Kann ich vielleicht die Namen der Frauen haben?«
Wider Erwarten nickte der andere.
»Und was werden Sie nun wegen Ole Lenhardt unternehmen?« Der Arzt blickte ihn sorgenvoll an, während er einige Eingaben am Computer tätigte.
»Das lassen Sie man meine Sorge sein.«
Gleich am Morgen rief Thamsen zunächst bei Gunter an. Er brauchte eine Aussage gegen Ole Lenhardt.
»Wenn dein Sohn dir den Arsch retten will, dann bringst du ihn am besten gleich mit.«
Erst wenn er eine offizielle Aussage zu den Flugblättern hatte, konnte er beim Staatsanwalt einen Haftbefehl erwirken. So wollte er Ole Lenhardt zumindest vorläufig aus dem Verkehr ziehen, auch um Dr. Prust zu helfen.
Das war zwar nicht ohne und den Sohn von Gunter brachte es sicherlich auch in Gefahr, aber sie mussten endlich aufräumen. Schon viel zu lang hatte er diese Machenschaften geduldet.
Die Vernehmung sollten die Husumer Kollegen machen. Die konnten schließlich auch mal was arbeiten. Dirk wollte in der Zeit die anderen Frauen besuchen. Vielleicht waren sie der Schlüssel zum Rätsel? Er wusste es nicht, aber es war zumindest ein Punkt, an dem man ansetzen konnte. Denn die Frage, wieso Dr. Merizadi ausgerechnet den Neonazis beim Kinderkriegen geholfen hatte, blieb.
Warum Ole Lenhardt mit seiner Freundin zur Entbindung nicht in die Klinik wollte, musste einen Grund haben. Der hatte etwas zu verbergen. Ganz sicher.
Die erste Frau wohnte in Klockries. Das war nicht weit, da konnte Thamsen schnell vorbeischauen.
Das Haus lag im Wegacker, einem Seitenweg, der von der Dorfstraße abzweigte.
Er ging den kleinen Pfad durch einen gepflegten Vorgarten zum Eingang hinauf und fühlte sich dabei irgendwie beobachtet. Doch auf sein Klingeln hin öffnete niemand. Und auch als er zu den Fenstern schaute, war da nichts zu sehen. Überhaupt war es hier totenstill.
Die zweite Adresse lag etwas weiter draußen im Gotteskoog. Ein bäuerliches Anwesen, das aber mittlerweile zum größten Teil brachlag, die Ländereien waren wohl verpachtet. Vieh gab es jedenfalls außer ein paar scharrenden Hühnern auf dem Hof anscheinend keines mehr. Und auch die Landmaschinen, die vor einem Schuppen standen, gammelten vor sich hin. Thamsen klopfte an die Tür und bereits kurz darauf öffnete ihm eine rundliche Person.
»Entschuldigung, mein Name ist Dirk Thamsen.« Er hielt seinen Ausweis hoch und die ältere Frau kniff ihre Augen zusammen. Wahrscheinlich konnte sie ohne Brille nichts erkennen. »Ich komme von der Polizei. Ist Julia Völler da?«
»Polizei«, fragte die Frau ganz aufgebracht, »ja, was gibt es denn?«
»Das würde ich gern mit Julia selbst besprechen.«
»Mmh«, die Frau schien zu überlegen, was für eine Antwort sie ihm geben sollte. Schließlich sagte sie: »Kommen Sie.«
Sie führte ihn durch einen schummrigen Flur in eine kleine Küche, in der die Decke so schief und niedrig zu hängen schien, dass er automatisch den Kopf einzog, als er den Raum betrat.
Auf einem Stuhl am Fenster saß eine junge Frau und starrte hinaus. Sie reagierte nicht auf sein »Guten Tag«.
»Frau Völler?« Er trat neben sie und berührte sie an der Schulter. Als einzige Reaktion darauf begann sie zu summen. Es dauerte einen Moment, dann erkannte er die Melodie des Kinderliedes: ›Weißt du, wie viel Sternlein stehen …‹
Dirk drehte sich fragend zu der älteren Frau in Kittelschürze um. Die wischte sich stumm eine Träne aus dem Augenwinkel.
»So ist sie, seit ihr Baby tot geboren wurde«, flüsterte sie.
»Das tut mir leid.« Damit hatte Thamsen nicht gerechnet. Er war völlig sprachlos. Worte waren an dieser
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